Was passiert in den ersten Tagen der Embryogenese? Kurz nachdem Eizelle und Samenzelle verschmolzen sind und sich aus diesen beiden ein Embryo formt? Die ersten Tage nach der Befruchtung waren für die Wissenschaft bisher ein großes Mysterium – ist es doch in vielen Ländern, so auch in Österreich, verboten, Forschung an Embryonen zu betreiben. Doch seit kurzem gibt es die Möglichkeit Embryo-Modelle, sogenannte Embryoide, im Labor wachsen zu lassen – und das eröffnet ganz neue Einblicke in die Entstehung menschlichen Lebens.

„Embryoide sind keine echten Embryonen“, stellt Markus Hengstschläger, Leiter des Instituts für medizinische Genetik der Med Uni Wien, klar. „Aus ihnen kann sich kein menschliches Leben entwickeln.“ Dennoch eröffnen diese Embryo-Modelle die Möglichkeit, erstmals die frühe Entwicklung zu studieren – und zu ergründen, warum es bei vielen Befruchtungen nicht zur Schwangerschaft kommt. Die Grundlage dafür sind sogenannte pluripotente Stammzellen: Also Zellen, aus denen sich noch jedes Gewebe des Körpers entwickeln kann. Aus ihnen entwickeln sich in der Petrischale Embryoide: „Das sind Zellhaufen von nur 150 bis 300 Zellen“, beschreibt Hengstschläger im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, „gerade einmal 0,015 cm groß.“ Aber groß genug, um entscheidende Fragen rund um das Menschwerden zu beantworten.

Markus Hengstschläger, Leiter des Instituts für medizinische Genetik der Med Uni Wien
Markus Hengstschläger, Leiter des Instituts für medizinische Genetik der Med Uni Wien © Udo Titz/MedUni Wien

Jede zweite Befruchtung führt nicht zu Schwangerschaft

Die genaue Zahl ist nicht wirklich bestimmbar, aber: Etwa jeder zweite Embryo ist von einer Fehlentwicklung betroffen, die dazu führt, dass sich der Embryo erst gar nicht in der Gebärmutter einnistet oder es zu einer Fehlgeburt kommt. „Wir wollen untersuchen, warum das so ist“, erklärt Hengstschläger. Ein wissenschaftlicher Durchbruch ist dem Genetiker und seinem Team bereits gelungen: Sie konnten zeigen, dass der Embryo in dieser frühen Phase selbst eine Membran herstellt, die ihn umschließt: „Diese Hülle sorgt dafür, dass die Zellen sich richtig anordnen und sie gibt dem Embryo seine Form“, erklärt Hengstschläger.

Mithilfe dieser Embryoide sollen zentrale Fragen für die Wissenschaft geklärt werden: Wie wirken Medikamente oder Umweltgifte in dieser Frühphase auf den Embryo? Wie entstehen genetische Erkrankungen? Und eben auch die Frage: Warum führen viele Befruchtungen nicht zu einer Schwangerschaft, was steckt hinter frühen Fehlgeburten? Genetiker Hengstschläger hofft auf Antworten auf all diese Fragen.