Während heute Morgen die Vögel in den Frühling zwitschern, sitze ich bei acht Grad Außentemperatur in meinem mittlerweile elf Grad warmen Wasserbecken und denke: „Schade, dass die Saison nun vorbei ist.“ Noch nie habe ich dem Winter auch nur eine Träne nachgeweint, zu schön sind der Frühling und die Vorfreude auf den Sommer. In den vergangenen drei Monaten entstand jedoch eine interessante Freundschaft: mit der Kälte.
Am ersten Tag in der Hölle, am zehnten im Paradies. Sie haben richtig gelesen, ich steige mit „Paradies“ ein, um Ihnen von meinem Eisbade-Winter zu erzählen. Gelernt habe ich nämlich vor allem eines: Der Mensch ist relativ schnell über seine Grenzen belastbar – auch bei Frost. Eigentlich kein Wunder: Mitteleuropäer leben seit jeher in und mit Minusgraden. Dass sich der Mensch bei kuscheligen 22 Grad einrichtet, von daheim via Auto oder Öffis ins Büro und retour gondelt und sich dazwischen immer warm genug anziehen kann – das ist alles relativ neu. Während unserer gesamten Evolution mussten wir Kälte „leiden“. Doch wie wehleidig bin ich in dieser Hinsicht wirklich? Wie wirkt sich die gezielte Kälteexposition auf meinen Körper aus? Diese Fragen trieben mich an – gleichermaßen mit Furcht und Faszination – als ich mir am 23. Dezember 2023 spontan ein Wasserbecken auf den Balkon stellte.
Seitdem bin ich jeden Morgen – zwei Wochen Urlaub ausgenommen – ins Eiswasser gesprungen. Und zwar egal, ob bei Regen oder Schneefall, egal wie kalt es war. Eines gleich vorweg: Relativ schnell wurde klar, dass es umso lustiger wurde, je tiefer Umgebungs- und Wassertemperatur sank. Im Jänner sehnte ich mich regelrecht nach der überwältigenden Umarmung, die eiskaltes Wasser bietet. Wie Sie sich das vorstellen können? Frisch geduscht spazierte ich da, nur mit einer Haube bekleidet, auf den Balkon, schlug die Eisdecke des Beckens ein und setzte mich mit einem Schwung direkt ins Wasser. Im ersten Moment schlägt dabei das Herz bis in den Hals, drückt das Wasser wie mit Nadeln gegen sämtliche Poren und versucht, dem Körper einen Schmerzschrei zu entlocken. Noch während der Atem sichtbar über die kleinen Eisschollen gleitet, breitet sich ein wohliges Gefühl aus. Nach einigen Sekunden herrscht befreiende Stille. Ich meditiere nun seit vier Jahren regelmäßig, bin immer auf der Suche nach dieser Ruhe im Geist, doch das Eiswasser verkürzt stundenlanges Zazen auf wenige Minuten. Ewig könnte man hier sitzen bleiben, so scheint es. Minuten ist aber auch das Stichwort, wenn es um die Dauer geht. Bleibt man zu lange, unterkühlt man natürlich unweigerlich. Bei Experten habe ich eine Regel aufgeschnappt: Die Verweildauer in Minuten sollte die Wassertemperatur nicht überschreiten. Das Wasser hatte im Jänner zwei bis drei Grad, die Regel klang vernünftig.
Der Körper muss sich selbst aufwärmen
„Danach springt man aber raus und rennt sofort unter die Dusche“, werden Sie sich vielleicht an dieser Stelle denken. Auch hier kann ich eine für mich völlig neue Erfahrung teilen: Auch bei Minusgraden verfällt der nasse Körper nicht sofort in epileptisches Zittern. Im Gegenteil: Es ist erstaunlich und faszinierend zugleich, wie lange man noch im Freien stehen kann, ohne sich nach der heißen Dusche zu sehnen. Vorausgesetzt, der Kopf bzw. die Stirn und die Fußsohlen sind geschützt – diese Bereiche dienen dem Körper als direkte Wärmetauscher. Nach einigen Minuten mit einer Aufwärmübung von Eisguru Wim Hoff, dem sogenannten Reiterstand, geht es zurück ins Warme, aber keinesfalls unters warme Wasser. Der Körper soll sich selbst aufwärmen, so die gängige Meinung zum Thema. Zittern sei gesund. Überraschend: Mir war danach selten kalt.
Dopamin-High bis in den Nachmittag
Welche Vorteile konnte ich für mich entdecken? Einer der Haupteffekte wird oft beschrieben: Durch den Schock im Eiswasser schüttet der Körper Adrenalin und Dopamin aus. Letzteres auf einem sehr hohen Niveau. Das Dopamin erzeugt ein High, das man noch Stunden nach dem Eisbad spürt. Selbst das Nachmittagstief nach dem Mittagsessen bleibt aus, obwohl ich dafür höchst anfällig bin. Dieser Kick lässt erst am späteren Nachmittag nach. Das ist auch der Grund, warum man nicht am Abend ins Eiswasser tauchen sollte: Man riskiert eine schlaflose Nacht. Wurde ich in den letzten drei Monaten krank? Nein, weder verkühlt noch kränklich. So blicke ich erstmalig mit Wehmut zurück auf den Winter. Denn am Ende der Eisbadesaison lebt die Hoffnung: Vielleicht klappt das doch noch mit der täglichen kalten Dusche.