Frauen verbringen um 25 Prozent mehr Lebensjahre in schlechter Gesundheit als Männer. Das zeigt ein aktueller Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF). Die Geschlechterungleichheit in der medizinischen Forschung und Versorgung bleibe weiter hoch. Es sei schnelles Umdenken nötig, da sich die Kluft mit zunehmendem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) weiter verschärfen könnte, warnte die MedUni.

Gewisse Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, besonders Herzinfarkte, gelten nach wie vor als typische Männerkrankheiten. Allerdings stellen diese mit 37 Prozent die oberste Todesursache bei Frauen dar. Bei Männern beträgt die Quote 32 Prozent. Auf dem zweiten Platz folgen Krebserkrankungen. „Hier ist in den vergangenen Jahren ein Anstieg zu verzeichnen, insbesondere Lungenkrebs tritt bei immer mehr Frauen auf“, sagte Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien.

Verdoppelung der Fälle von Schwangerschaftsdiabetes

Auch die Zahl der Patientinnen mit Schwangerschaftsdiabetes verdoppelte sich seit 2010 laut dem Österreichischen Frauengesundheitsbericht 2022. Die starke Zunahme könne bei 30 Prozent der Frauen auf Adipositas zurückgeführt werden. Das Übergewicht habe auch zur Folge, dass bei Frauen Typ-2-Diabetes in jüngeren Jahren zunimmt und dass sie von Herz-Kreislauf-Komplikationen überproportional betroffen sind. Das gilt auch für Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems: Arthrose, Osteoporose und rheumatoide Arthritis kommen bei der weiblichen Bevölkerung im Vergleich zu Männern besonders häufig vor. Auch das Risiko im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken, ist bei Frauen zwei- bis dreimal so hoch wie bei Männern.

Laut dem WEF-Bericht, der die Lage in rund 150 Ländern analysierte, sind Frauen vielfach bereits während ihrer beruflichen Laufbahn krank. Weltweit leben Frauen so durchschnittlich um 25 Prozent weniger Jahre bei guter Gesundheit als Männer. Die Schere ist in Österreich selbst nicht so stark ausgeprägt: Der Österreichische Frauengesundheitsbericht zeigte auf, dass Frauen hierzulande durchschnittlich 83,7 Jahre alt werden. Aber sie verbringen rund 19,3 Jahre in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit, im Vergleich zu 16,2 Jahren bei Männern.

Eine der Ursachen ist in der Forschung zu sehen: Trotz großer Fortschritte in den vergangenen 20 Jahren seien Frauen in klinischen Studien immer noch unterrepräsentiert. Diese Daten- und Wissenslücken führten zu verzögerter Diagnosestellungen. Eine Studie, die in Dänemark über einen Zeitraum von 21 Jahren durchgeführt wurde, zeigte, dass Frauen im Fall von mehr als 700 Krankheiten später eine Diagnose erhalten als Männer. Bei Diabetes beträgt die Verzögerung rund viereinhalb Jahre. Besonders stark ausgeprägt ist dieser Zustand bei Endometriose. Dabei wächst aus noch ungeklärten Gründen Gebärmutterschleimhaut auch außerhalb der Gebärmutterhöhle und kann vor und während der Regel auch an diesen Stellen Blutungen und massive Schmerzen auslösen. US-Analysen zeigten, dass bei weniger als der Hälfte der Frauen, die mit der Krankheit leben, überhaupt eine Diagnose gestellt wurde. Lebensgefährlich kann die zeitliche Verzögerung bei Herzinfarkten sein: Das Risiko, daran zu sterben, ist für Frauen um 20 Prozent höher als bei Männern.

Kautzky-Willer warnte zudem, dass bestehende Datenmängel den sogenannten „Gender Health Gap“ im Zuge von verstärkter KI-Anwendungen in der Medizin verschärft: „Wenn künstliche Intelligenz überwiegend aus männlichen Daten lernt, entfernen wir uns weiter und weiter von der gesundheitlichen Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern.“ Die Ärztin, die 2010 als erste Professorin für Gendermedizin an die MedUni Wien berufen wurde, forderte daher unter anderem Investitionen in frauenspezifische Forschung und die Sammlung und Analyse geschlechterspezifischer Daten.