Seltene Erkrankungen sind selten: Eine solche Erkrankung betrifft nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen. Manche davon sind sogar ultraselten, sie betreffen nur einen Menschen unter 50.000. Aber: Nimmt man alle seltenen Krankheiten zusammen, so sind das 6000 bis 8000 Krankheitsbilder, die in Österreich insgesamt 400.000 Menschen betreffen. Dass die Diagnose solch selten vorkommender Krankheiten an Detektivarbeit grenzt, weiß Sarah Verheyen: Die Humangenetikerin an der Med Uni Graz berät Menschen, die mit den verschiedensten Fragestellungen zu ihr kommen: „Wir beraten Familien, wenn sich bereits in der Schwangerschaft eine Auffälligkeit zeigt. Wir beraten Eltern, deren Kinder Entwicklungsverzögerungen haben, aber keine Ursache feststeht. Oder wir beraten Menschen, die eine genetische Vorbelastung für Tumore haben“, zählt Verheyen auf.
Bei diesen und noch vielen weiteren Fragestellungen wird die Diagnose in den Genen gesucht. Manchmal ergibt sich aus dem Krankheitsbild schon ein Hinweis auf eine mögliche Ursache – ist das nicht der Fall, wird das gesamte sogenannte Exom unter die Lupe genommen: Das sind rund 20.000 Gene, die gleichzeitig auf Gendefekte untersucht werden können.
„Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich betroffene Familien ganz individuell beraten und betreuen kann“, sagt Verheyen. Aber es gibt auch die frustrierende Seite der genetischen Spurensuche: „Bei einem Drittel der Krankheitsbilder mit unklarer Ursache können wir eine Diagnose finden, aber bei den anderen zwei Dritteln finden wir keine genetische Ursache.“ Das liege daran, dass von den 20.000 Genen nur etwa 4900 einer Erkrankung zugeordnet sind. Aber die Wissenschaft steht nicht still: „Jeden Tag werden neue Gene zugeordnet“, sagt Verheyen – so können genetische Erkrankungen, für die es heute noch keine Erklärung gibt, vielleicht in einigen Jahren entschlüsselt sein.
Wenn schon keine Therapie, dann Klarheit
Für betroffene Familien ist diese Gewissheit über die Ursachen eine große Erleichterung, weiß Med Uni-Expertin Barbara Plecko: „Auch wenn wir nur für 15 Prozent der seltenen genetischen Erkrankungen eine gezielte Therapie haben, ist es für die Eltern immer ein Gewinn, die Ursache zu kennen.“ Die Krankheit bekommt einen Namen, Familien können sich mit anderen Betroffenen vernetzen, sie finden ihre „Familie des Lebens“, wie Plecko die Gemeinschaft der Betroffenen nennt. Und: Mit einer Ursache kann auch die Frage geklärt werden: Was bedeutet das für die weitere Familienplanung? „Eine genetische Erkrankung muss nicht vererbt sein – manchmal strickt die Natur leider Fehler ganz spontan in den Bauplan des Menschen“, erklärt Plecko.