Österreich muss die Achtsamkeit in Bezug auf psychische Gesundheit erhöhen. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat ergeben, dass mehr als 40 Prozent der Erwachsenen Anzeichen des Burn-out-Syndroms aufweisen. Das sei keine „Modeerscheinung“, sondern ein ernst zu nehmendes Problem, betonte der Wiener Psychiater Michael Musalek gegenüber der Austria Presse Agentur. „Burn-out findet sich nicht unter den psychiatrischen Krankheitsdiagnosen. Der Grund dafür liegt darin, dass Burn-out im Gesunden beginnt und in einem späteren Stadium zur Krankheit wird.“
Beim Symposium „Burn-out – Modeerscheinung oder Volkskrankheit“ am vergangenen Wochenende in Wien wurden die verlässlichsten Zahlen bezüglich der Verbreitung von Burn-out in Österreich präsentiert. Musalek: „Mehr als 40 Prozent der erwachsenen Österreicher zeigen demnach Zeichen eines Burn-out. Betroffene im Stadium 1 und 2 sind etwa gleich häufig. Acht Prozent der Menschen befinden sich im Stadium 3 und sind im Rahmen ihres Burn-out bereits psychisch krank. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen. Frauen kommen mit schweren Belastungen an sich besser zurecht als die Männer, haben aber häufig Doppelbelastungen.“
Die Stadien eines Burn-outs
Im Stadium 1 des Burn-out, noch ohne die Intensität einer psychiatrischen Erkrankung, kommt es vor allem zu einer Leistungsreduktion und zu Entfremdungstendenzen. „Man fühlt sich fremd gegenüber seinen Arbeitskollegen, gegenüber seiner Arbeit und schließlich gegenüber sich selbst. Betroffen sind oft die besonders Leistungswilligen, die besonders Genauen. Sie nehmen sich Arbeit nach Hause mit, die Freizeit wird immer ‚dünner‘. Beziehungsprobleme folgen oft. Hinzu kommt eine erhöhte Reizbarkeit. Was uns früher oft nur böse gemacht hat, macht uns plötzlich sehr böse“, sagte der Psychiater.
Im Stadium 2 geht Burn-out bereits mit körperlich objektiv nachweisbaren Veränderungen einher. Das sind vor allem erhöhter Blutdruck und Spannungszustände inklusive starker Gereiztheit infolge einer ständigen Überaktivierung des sympathischen Nervensystems. „In diesem Stadium wird oft versucht, mit ‚Alltagsdoping‘ über die Runden zu kommen. Das sind dämpfende Substanzen natürlich ‚optimal‘ – und der bei uns am leichtesten zugängliche ‚Tranquilizer‘ ist der Alkohol“, erklärte Musalek. Im Rahmen eines Burn-out kommt es aber auch immer wieder zum Missbrauch von Stimulanzien, zum Beispiel Kokain oder Amphetamine.
Stadium 3 hat schließlich Krankheitsbedeutung, weil es zu starken und lang andauernden Erschöpfungszuständen kommt, die in schwere Depressionen übergehen können. „Diese Menschen leiden an allem, was wir mit ‚Losigkeit‘ verbinden – Freudlosigkeit, Schlaflosigkeit, Interesselosigkeit etc. Während in den ersten beiden Stadien vor allem Beratung und Coaching im Mittelpunkt der Betreuung stehen, sind im Stadium 3 oft Antidepressiva und Psychotherapie notwendig“, betonte der Experte.
Viel Arbeit alleine führt nicht zu Burn-out
Simple „Überarbeitung“ bedeutet übrigens noch kein Burn-out. „Viel Arbeit allein führt nicht zum Burn-out. Es ist das Fehlen von positiven Rückmeldungen, eine schlechte Arbeitsatmosphäre und empfundene unfaire Behandlung, die ursächlich beteiligt sind. Besonders, wenn das eigene Wertesystem nicht mit dem Wertesystem am Arbeitsplatz in Einklang gebracht werden kann“, sagte Musalek.
Auch wenn die epidemiologischen Daten von Erwachsenen stammen, Kinder und Jugendliche können laut dem Wiener Psychiater genauso betroffen sein: „Es gibt eine Reihe von Jugendlichen, die wegen des Erfolgsdrucks in einen Erschöpfungszustand und in eine Reduktion ihrer Leistungsfähigkeit hineinrutschen. Dann bekommen sie schlechte Noten in der Schule, was noch mehr Stress bedeutet und in eine Negativspirale führen kann.“ Betroffene entfremden von ihren Klassenkameraden, wollen nicht mehr in die Schule gehen, verweigern.
Die Frage, warum Burn-out so häufig geworden ist, lässt sich nicht ganz einfach beantworten. Musalek: „Sicherlich ist es die Beschleunigung unseres Lebens. Aber es ist auch der Wechsel von einer Leistungs- zu einer Erfolgsgesellschaft. Wenn ich keinen Erfolg habe, kann ich noch so viel leisten, wie ich will – ich bekomme keine Anerkennung. Und dann ist da auch noch der oft lieblose Umgang mit den Mitmenschen. Am wichtigsten wäre Prävention.“ Hier könnte am Arbeitsplatz enorm viel geleistet werden.