FINALE FURIOSO UND FÜNF LEHREN (30. März 2018)
Sorry, Mark. Hätte ich die Stärke des Bebens vorausgesehen, das mein Abwenden von dir auslöste, hätt ich es mir vor rund 40 Tagen vielleicht anders überlegt. Großes, Social-Media-geprüftes Ehrenwort!
Wobei: Vielleicht bin ich gar nicht der Alleinschuldige und du trägst selbst auch ein wenig Verantwortung am jüngsten Vertrauensverlust - der sich nicht nur als Aktienkurstiefflug mit einem satten Marktwertminus von 80 Milliarden Euro abbildete.
Aber zurück in bodenständigeres Gefilde und zu fünf Lehren, gesammelt in der Zeit ohne das umtriebige Geschwister-Trio WhatsApp, Instagram und Facebook:
Erstens: Meine Welt brach nicht zusammen. Nie hatte ich das Gefühl, plötzlich soziales Eiland zu bewohnen.
Zweitens: Zu lieben Freunden riss der Kontakt während des Fastens dennoch ab. Die Plattform-Blase, sie existiert.
Drittens: Meine tägliche Smartphone-Bestaunung sank ohne Facebook, Instagram und WhatsApp im Schnitt um 40 Minuten. Waren die ersten Tage vollgepumpt mit digitalen Ersatzdrogen, rasselte die Bildschirmzeit nach einer Woche Abstinenz flott nach unten. Facebook verteilt das Gefühl des Gemochtwerdens also möglicherweise schneller und stärker als die Konkurrenz.
Viertens: Man kann gut ohne Zuckerberg-Dienste leben und trotzdem die Vorzüge digitaler Kommunikation genießen. Telegram oder Signal als der Nische entflohene WhatsApp-Alternativen oder die abermals entflammte Zuneigung zur smarten Linkschleuder Twitter seien exemplarisch genannt.
Fünftens: Bequemlichkeit (Organisation von Veranstaltungen!) und berufliche Gründe triumphieren. Mark, ich kehre zurück!
Aber seltener.
FACEBOOKS KRISE UND DER 3S-BLICK (22. März 2018)
Es spitzt sich zu, wie es so schön heißt. Einerseits läuft die zuckerbergfreie Zeit ohne Facebook, WhatsApp und Instagram bald aus - andererseits ist es an Tagen wie diesen besonders herausfordernd, über Facebook zu schreiben, ohne Facebook zu verwenden.
Sie haben vermutlich gehört, dass der Konzern in ein veritables Datendilemma geraten ist. Auch wenn es im aktuellen Fall (mehr lesen Sie auf den Seiten elf bis 13) weniger um "Missbrauch" und mehr um "Gebrauch" von Facebook geht, wie Spiegel-Schreiber Sascha Lobo treffend meint. Das Netzwerk machte schließlich nie einen Hehl daraus, auf möglichst viele, möglichst private Daten seiner Nutzer aus zu sein, um diese zu vermarkten. Oder verlangte Facebook von uns Privatkunden jemals eine Anmeldegebühr, einen monatlichen Abotarif? Wir spielten das Spiel mit Hingabe mit.
Aber wie läuft jetzt das Zusammenspiel zwischen Facebookfasten und der journalistischen Aufarbeitung der Facebook-Vorkommnisse? Nun, ich greife auf die in Fahrschulkreisen bekannte Methode des 3S-Blicks zurück. Schulter-Screen-Schulter in meinem Fall, flugs über die Schulter der eingeweihten Kollegen auf deren Facebook-Screen und wieder kontrollierend zurück, ob die Spionage unbemerkt blieb. Selbst bleib ich dadurch ausgeloggt und in Ihrer Betrachtung moralisch hoffentlich an Bord.
Abschließend weg von der Härte des Alltags und hin zur Ausstellung der Künstlerin Cécile B. Evansim Wiener mumok. Evans gilt als gefeierter Star der „Post-Internet Art“ und beschäftigt sich mit dem zunehmenden Einfluss neuer Technologien auf Handlungen und Gefühlswelt. Eine Empfehlung, für die es keine Facebook-Einladung braucht!
POST VON INSTAGRAM (15. März 2018)
Liebe Leserinnen, liebe Leser: Instagram hat sich gemeldet! Per Mail! Exakt einen Monat (oh du automatisiertes Wunder) nach dem Beginn meiner Pause und zum tatsächlich ersten Mal seit Mai 2016, als mich das Zuckerberg-Netzwerk fröhlich erinnerte, doch einen Blick auf den "neuen Look von Instagram" zu werfen. Dieses Mal liest sich die Nachricht weniger jovial. Ich solle mich doch endlich um meine "fünf neuen Follower" kümmern und mir die - anscheinend recht willkürlich zusammengestellte - Liste der "aktuellsten Aktivitäten" ansehen. Ich gestehe, im Leben schon mit größeren Versuchungen gekämpft zu haben.
Apropos Anziehungskraft: In den vergangenen Tagen wurde ich immer wieder gefragt, wie endgültig denn mein Versuch sei, Facebook, WhatsApp und Instagram abzuschwören. Nun, das weiß ich selbst noch nicht. Obwohl mir erst jüngst ein Artikel außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit abrang. "Facebook-Konto richtig löschen" stand da als Titel.
Die Conclusio: Unter "Konto verwalten" kann man Profile schnell "deaktivieren", das "Löschen" aber ist anspruchsvoller und funktioniert nur über Umwege. Man muss, so heißt es im Artikel, auf das "Fragezeichen-Symbol tippen und ,Konto löschen' in das Suchfeld eingeben". Nach ein paar weiteren Klicks würde schließlich die Erlös(ch)ung warten. Ob das so stimmt? Kann ich frühestens ab 1. April beantworten.
MINUSMINUTEN UND ERSATZDROGEN (8. März 2018)
Ein Bekenntnis: Das temporäre Abschwören der Dienste Mark Zuckerbergs - 46 ganze Tage ohne WhatsApp, Instagram und Facebook - hat nicht nur idealistische, sondern auch egoistische Gründe. Der Versuch soll eigene Bildschirmzeit verringern und wieder mehr Raum für analoge Aktivitäten schaffen.
Mich hatte in den Monaten davor das störende Gefühl beschlichen, digitale Informationen ob ihrer Menge und zeitlichen Allgegenwärtigkeit nur mehr zu bestaunen, nicht mehr zu bedenken. Mein Filter schien verstopft, der Blick dank aufpolierter Instagram- und Facebook-Profile nachhaltig geblendet. Die drei App-Riesen saugten meine Aufmerksamkeit an und verengten so die digitale Welt schmerzhaft.
Nach drei Wochen der Enthaltsamkeit lässt sich nun festhalten: im Smartphone-Verhalten hat sich einiges geändert. Zum einen sank die tägliche Bildschirmbetrachtung um 30 Minuten, andererseits scheint der Kopf freier für digitale Alternativen abseits des Zuckerberg-Konzentrats. Telegram dient als launiger und nicht überlaufener WhatsApp-Ersatz, Twitter nützt in seiner Funktion als Spürhund für unorthodoxe Nachrichten. Auch Vero, die schlanke und vorerst ungefilterte Alternative zu Facebook und Instagram, ist einen Blick wert. Wenngleich die Funktionalität frappant an befastete Zeiträuber erinnert.
Erfrischend anders: "Hold", eine App, die es nach riesigem Erfolg in Skandinavien nun auch in Großbritannien gibt und die wohl bald den Sprung in deutschsprachige Gefilde schafft. Belohnt werden von der Anwendung Nutzer, die ihr Smartphone nicht verwenden. Desto länger der Bildschirm schwarz bleibt, desto größer ist das Beschenkungsportfolio. "Fröhliches Fasten" also - im wahrsten Sinne des Wortes.
ENGEL LINKS, TEUFEL RECHTS (1. März 2018)
Ganze 46 Tage ohne WhatsApp, Instagram und Facebook und dann folgt auch noch der Halt mitten im Zentrum der Mobilfunkwelt. Mobile World Congress, Barcelona. Wie nur soll die weltgrößte Branchenmesse, diese Andacht der Hochtechnologie, ohne Mark Zuckerbergs langen Atem überstanden werden?
Die schweißtreibende Frage quälte, die Antwort ist ernüchternd trocken: Nun, ich überlebte. Und folge weiterhin aufmerksam dem Schauspiel auf meinem Schultergürtel: Engel links, Teufel rechts, Lechz! Während mir der eine gut zuredet und auf gewonnene Stunden und gelockerte Nackenmuskulatur verweist - ja, mittlerweile sinkt die eigene Smartphone-Bildschirmzeit tatsächlich deutlich -, subsumiert der Belzebub unaufhörlich Versäumtes.
Etwa die launigen Bundesliga-Spieltaganalysen in der lieb gewonnenen Facebookgruppe oder den charmanten familiären WhatsApp-Bildband. Auch das Aufspüren spannender Musiker und Konzerte fällt schwerer. Wird der Wehmut gar groß, hilft mir immer noch die Flucht in die Welt der Zahlen. Werden diese gar unvorstellbar, ziehe ich die Schraube der Vorsicht tendenziell fester an.
Und persönlich vernehme ich Schwindelgefühle bei zehn Milliarden versendeten Facebook-Nachrichten pro Tag. Die täglich 4,5 Milliarden Gefällt-mir-Klicks gefallen mir kaum, ebenso wenig 1,5 Milliarden aktive Nutzer in einem einzigen Netzwerk.
Können Sie sich das alles noch vorstellen? Eine kleine Hilfestellung: Die Zahlen sind aus 2013, längst verstaubt und kosten Mark Zuckerberg heute vermutlich nicht einmal mehr den Beginn eines Lächelns.
Diesen Tagessieg holt sich der Engel links.
FAKTEN, FAKTEN, FAKTEN (23. Februar 2018)
Ich bin gerührt. Nicht nur von den SMS, die mir liebe Menschen während meines WhatsApp-Entzugs schicken, sondern auch von fürsorglichen Kolleginnen und Kollegen, die mich zurzeit besonders regelmäßig mit aufgespürten Statistiken rund um das meinem Fastenthema eng verwandte "Digital Detox" versorgen.
Ein paar besonders feine Zahlen möchte ich an dieser Stelle weitergeben. Marketagent.com hat etwa 1000 Österreicher befragt und kam dabei zu folgenden Ergebnissen:
- Zwei Drittel können sich ein Leben ohne ihr Smartphone gar nicht mehr vorstellen.
- Im Mittel dauert es zehn Minuten, bis Menschen nach dem Aufwachen das erste Mal zum Smartphone greifen. Bei den 14- 29-Jährigen sind es ganze drei Minuten.
- Vier von zehn Befragten haben bereits einmal während des Autofahrens eine Handy-Nachricht verschickt.
- Knapp 78 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher empfinden es mittlerweile wichtig, "bewusste Smartphone-Pausen einzulegen".
Abschließend: Der Stuttgarter Reiseveranstalter "Travel To Life" will "als einer der ersten Unternehmen in Deutschland eine Handy-freie Reise im Programm" haben. Der Entzug wird nun also bereits zum Marketing-Instrument.
SIEBEN SCHÖNE TAGE (20. Februar 2018)
Mittlerweile ist Tag Sieben angebrochen und das erste Wochenende ohne Facebook, WhatsApp und Instagram überlebt. Eines vorweg: So schlimm ist's gar nicht, wenngleich im Moment erstmals ein Gefühl an Bedeutung gewinnt, das mir sagt, außergewöhnlich wichtige Dinge zu verpassen. Insgesamt hat sich meine Bildschirmzeit bis dato übrigens nicht reduziert. Dafür gelingt ein gefühlt ewig vorgenommenes Vorhaben plötzlich weit besser: längere, komplexere, Texte am Smartphone zu lesen.
Wie dem auch sei. Positiv hervorzuheben sind allemal die durchwegs aufmunternden Reaktionen auf die Auszeit. Und ein geschätzter Kollege, der mich per E-Mail höflichst darauf aufmerksam machte, dass meine Auszeit eigentlich länger als die angekündigten 40 Tage dauert. Da ich ja - im Gegensatz zum religiösen Fasten - auch an den Wochenenden abstinent leben will.
Ich verspreche: auch die 46 Tage schaff ich. Und wer Tage lieber digital zählen will, dem sei dieser simple Rechner empfohlen.
DER BEGINN | TEIL 2 (15. Februar 2018)
"Ich hab's getan"
Ich hab's getan. Es ist passiert. Das blaue Logo, angetippst - und das schon am zweiten Entzugs-Tag. Die ganze Geschichte geht so: Wie beschrieben, hab ich sicherheitshalber die Smartphone-Apps von Facebook, WhatsApp und Instagram auf einen Platz verschoben, den ich für gewöhnlich ignoriere. Was dazu führte, dass ich in einem gedankenlosen Moment heute tatsächlich JamSnap startete, also jene Anwendung, die sich nun am langmonatigen Facebook-Platz befindet. So weit, so problemlos.
Aber dann wischte ich - ein paar Stunden später und wieder vom Unterbewusstsein getrieben - über den Bildschirm und kam auf jenen Screen, wo Apples Siri-App-Vorschläge gelistet sind. Automatisch steht Facebook hier auf der Eins. Ich seh's und tipp, die App beginnt sich zu öffnen, Panik macht sich breit. Gerade noch gelingt dem nervösen Finger das Schließen, bevor der News-Feed zu füttern beginnt. Durchschnaufen!
Und: So deaktiviert ihr die App-Vorschläge von Siri.
DER BEGINN (14. Februar 2018)
"Vom Verschieben und Vermessen"
Alle Benachrichtungen am Smartphone sind deaktiviert, dazu die so oft angetappsten Apps sicherheitshalber vom gewöhnten Bildschirm-Platz verschoben. Gleichzeitig folgte der Versuch einer Vermessung. Zeigen sollte er, wie fortgeschritten eigentlich die Verbundenheit mit diesem Herrn Zuckerberg ist. Zur Annäherung an Antworten eignet sich die App "Moment", die Bildschirmzeiten exakt dokumentiert.
Die eigene und beschämende Auswertung der vergangenen Wochen: Jeden Tag wird das Smartphone-Display im Schnitt zwei Stunden bestaunt und dabei gut 60 mal entsperrt. Trotz der eher schlanken Statur müsste ich damit wohl als "Heavy User" im Schwergewichtskampf antreten – somal die Bildschirmzeit am Arbeitslaptop freilich gar nicht dazugezählt ist. Erhellende, wahlweise ernüchternde, Daten finden sich auch in den Smartphone-Einstellungen unter "Batterienutzung". Dort wird penibel aufgelistet, welche Anwendungen den Akku in welchem Maße aussaugen.
In meinem Fall finden sich in den Top-6 – richtig geraten – Facebook, WhatsApp und Instagram. Gemeinsam beansprucht das Trio Infernal nahezu ein Drittel des Kraftspeichers. Die Hoffnung liegt nahe, dass sich der Handyakku in den folgenden 39 Tagen im Gleichschritt mit dem körpereigenen erholt.
DIE AUSGANGSLAGE (13. Februar 2018)
"Der Datenschutz-Tag"
Erst diese Woche musste es wieder ein Gericht feststellen: Facebook schert sich wenig um den Datenschutz. Ortsdaten von Nutzern, die per Voreinstellung aufgezeichnet werden, und die automatische Weitergabe des Chronik-Links an Suchmaschinen: beides nicht rechtens, befindet das Landgericht Berlin.
Es war gewissermaßen die letzte Bestätigung eines länger gefassten Plans: Facebook-Fasten, die Suche nach einem Weg weg von Mark Zuckerberg. Und weil zum für gewöhnlich gut informierten Konzern des New Yorkers längst viel mehr als das eine Netzwerk gehört, wurde der ursprüngliche Plan noch ausgeweitet. 40 volle Tage ohne Facebook, Instagram und WhatsApp sollen es nun sein. Vor allem Letzteres macht den Entzug von der Droge Zuckerberg vermutlich besonders schmerzhaft.
Insgesamt geht es um keine Verteufelung. Eher um den Versuch einer eigenen Entschleunigung. Das Ziel: Zumindest eine Zeit lang den Wettlauf mit sich selbst aussetzen, auf nervöses Fingerzucken möglichst verzichten und das Lechzen nach Likes ad acta legen.
Ob die Idee tatsächlich in die soziale Isolation führt oder doch eher als erfüllender Befreiungsschlag taugt? Ob der Rückfall nach der Entwöhnung besonders heftig ausfallen wird? Das weiß zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht einmal Mark Zuckerberg.