Ich bin in Waldzell, das ist bei Ried im Innkreis, als jüngstes von drei Kindern auf einem Bauernhof groß geworden. Wir waren Vollerwerbsbauern, Milchwirtschaft, circa 60 Stück Rind, Wiese und Wald – ich weiß aber nicht, wie viel Hektar. Wir haben zu Hause helfen dürfen und müssen, waren auf jeden Fall viel draußen. Fernsehen hat es ja nicht gegeben.
Das Einzige, das mich an meiner Kindheit gestört hat, war, dass es keinen Urlaub gegeben hat. Meine Eltern haben nicht sagen können, wir lassen den Bauernhof einmal eine Woche alleine. Umgekehrt hatten wir Urlaub am Bauernhof – und das jeden Tag. Und es gab lässige Arbeiten: Traktorfahren zum Beispiel, das war super.
Wenn es nötig war, bin ich als Siebenjähriger auf dem Traktor gesessen, damit die anderen den Anhänger beladen konnten. Mit Standgas, runtergekommen zum Pedal bin ich eh nicht. Wenn wir nicht helfen mussten, sind wir im Sommer dem Ball nachgelaufen, im Winter haben wir die Ski angeschnallt und uns hinter dem Haus Pisten präpariert. Mein Vater hat da nie Einwände gehabt, hat uns immer unterstützt. Er hätte gerne selbst auch mehr gesportelt. Als jüngster Sohn von neun Kindern musste er aber den Bauernhof übernehmen, da war für Sport keine Zeit.
Großer Bruder, großes Vorbild
Mein Bruder ist vier Jahre älter als ich. Fußball, Skifahren, Skispringen: Wenn du als Kleiner das vom Großen siehst, dann eiferst du nach, willst alles besser machen. Für ihn war es mühsam, weil er mich überallhin hat mitnehmen müssen. Er war es auch, der mich zum Skispringen gebracht hat. Bei uns im Ort hat es eine Schanze gegeben. Wenn du als Waldzeller Bub in die Hauptschule gekommen bist und kein Wappler sein wolltest, dann hast du da springen müssen. Mein Bruder hat das gemacht und geschwärmt davon.
Er hat dann auch die Mama so geschickt überredet, dass ich mitgehen durfte. Ich bin mit –und als Sechsjähriger auch runtergesprungen. Und dann haben wir angefangen, im Verein Ski zu springen. Die Schanze ist dann abgerissen worden, der Landestrainer hat uns aber mitgenommen zu Trainings und Wettkämpfen. Ich glaube, wenn mein Bruder damals aufgehört hätte, hätte ich auch nicht weitergemacht, als Achtjähriger wäre ich da sicher nicht mit. Die Eltern haben schon gewusst, dass das gefährlich ist. Aber sie haben uns unterstützt, weil sie auch gewusst haben, es ist viel gescheiter als anderer Blödsinn, der dir in jungen Jahren einfällt.
Mit 14 Jahren weg von zuhause
Auch beim Eintritt ins Internat in Stams hat mir mein Bruder sehr geholfen. Er selbst hat auf eine duale Ausbildung (Sportschule plus Lehre) in Eisenerz verzichtet, weil sich meine Eltern nicht beides hätten leisten können. Er hat zu meinen Eltern gesagt, wenn der Andreas ganz nach oben soll, dann müsst ihr ihn nach Stams schicken. Das kostet einen Haufen Geld, aber meine Eltern haben mir das ermöglicht. Mir ist damals mit 14 das Weggehen nicht schwergefallen. Ich hab genau gewusst: Ich will das. Entweder ich geh hin und mach die Matura oder ich werd im Skispringen gut. Eines von beiden werde ich wohl schaffen, hab ich mir gedacht.
Ich war fünf Jahre lang in Stams – meine Eltern in der Zeit nicht ein Mal. Wir haben nicht darüber gesprochen, aber für sie war es sicher nicht leicht, dass ich da weg und auf einmal in Tirol bin. Aber natürlich taugt es ihnen, wenn du es schaffst, wenn du gut wirst und wenn sie merken, wie es dir taugt.
Im Weltcup sind die Eltern dann auch dabei gewesen. Der Papa war das erste Mal am Bergisel dabei, auch als ich das erste Mal gewonnen habe. Kulm und Bischofshofen waren Pflichttermine für meine Mama. Einer hat halt immer daheim bleiben müssen am Bauernhof. Dabei zu sein, hat ihnen aber schon getaugt, wenn die Gemeinde, alle Waldzeller, hingepilgert sind.
Das war ja eine Riesensensation, wenn ein Oberösterreicher, eigentlich so ein „Flachlandler“, irgendein Bauernbub aus Waldzell, da so gut ist.
Die Familie war ein großes Netz, wenn es nicht gelaufen ist. Dort war ich in einer anderen Welt. Der Vater hat immer gesagt: Hauptsache, du kommst wieder gesund heim. Freilich hat er sich gefreut, wenn ich gewinne. Aber wenn nicht, war es ihm auch egal.
Wenn Eltern Kinder leiden sehen oder wenn sie sehen, dass die Kinder was anstellen, dann geht es denen sogar noch schlechter. Über Negatives haben wir nicht geredet.
Im Winter nicht bei den Buben
Dass ich jetzt im Winter so viel weg und nicht bei meinen Buben bin, ist schon zach. Meine Frau kennt mich nicht anders. Aber wenn die Kinder jeden Tag fragen, wann du wieder heimkommst, dann freust du dich umso mehr auf daheim. Darum versuche ich die Zeit zu Hause auch intensiv zu nutzen.
Wenn meine Kinder Sportler werden wollen, dann würde ich sie dabei unterstützen, wie es auch meine Eltern getan haben. Als Kind jammerst du, wie schlimm und gemein die Eltern nicht sind. Im Nachhinein muss ich sagen, was meine Eltern gemacht haben, kann nicht falsch gewesen sein.
Protokolliert von Clemens Ticar