Oft unterstellt man Kindern, dass sie trotzig sind, wenn sie eigentlich andere Wünsche haben, als man selbst. Wie kann eine gute Beziehung bestehen bleiben, auch wenn man in der Familie anderer Meinung ist?
IRMGARD BARTA: Jeder möchte im Grunde kooperieren, das sollte man nutzen. Es macht im Streit einen Unterschied, ob es um eine unterschiedliche Meinung geht oder um eine gemeinsame Entscheidung. Denn wir halten es oft schlecht aus, unterschiedlicher Meinung zu sein, aber jeder darf doch seine Meinung haben. Wenn keine gemeinsame Entscheidung ansteht, kann man erst einmal den Druck herausnehmen. Bei der Bundespräsidentenwahl schaukelten sich zum Beispiel die Gemüter hoch. Jeder wollte den anderen überzeugen, dabei ging es nicht um eine gemeinsame Entscheidung, denn jeder konnte doch wählen, wen er für richtig hielt. Man streitet also oft unnötig. Wir sind einig, dass wir zwei verschiedene Meinungen haben. Man kann dann versuchen, zu verstehen, wie der andere zu seiner Meinung kommt und warum ihm das so wichtig ist. Beide Seiten werden gehört, aber man muss nicht einverstanden sein. Ist aber eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, muss man sachlich herausfinden, worum es wirklich geht. Was ist jedem wichtig? Wo ist der mögliche Weg?
Wie bringt man die eigene Botschaft richtig an?
Hier kommen die Bedürfnisse ins Spiel: Sie möchten erfüllt werden, dann fühlen wir uns gut. Statt nun den anderen dafür verantwortlich zu machen, dass man sich nicht gut fühlt, wird in der Gewaltfreien Kommunikation das eigene Bedürfnis formuliert. Statt Bewertung und Urteil: „Du bist so rücksichtslos, immer bist du so laut und störst mich!“, sagt man lieber: "Ich bin gerade müde und möchte mich ausruhen. Kannst du mir dabei helfen und etwas leiser sein?" Denn verteilt man gleich die Schuld an andere, löst man dort den Verteidigungsmodus gegen diesen Angriff aus. Die Streit-Spirale dreht sich. Wenn man bemerkt, dass ein anderer ein Gefühl auslöst, das gerade nicht mit unseren Bedürfnissen im Einklang steht, in sich hineinhören, was man im Moment gerade braucht und es dann bittend und als eigenes Bedürfnis äußern.
Selbst wenn man seine Gefühle sachlich äußert, denkt der andere oft, er sei verantwortlich dafür.
Das haben wir so gelernt, denn unsere Sprache signalisiert oft, dass der andere verantwortlich ist für die eigenen Gefühle: "Du nervst mich! Du ärgerst mich. Du enttäuscht mich. Das macht die Mama so traurig, wenn du nicht Flöte spielst." Damit schiebt man die Schuld für die eigenen Gefühle dem anderen zu. Kinder wollen ihre Mama bestimmt nicht traurig machen, also reagieren sie auf so eine Aussage entweder mit Anpassung: "Na gut, dann mach ich es halt." – oder mit Wut. Keine der beiden Reaktionen trägt in Wirklichkeit zur Verbindung bei.
Warum ist es manchmal schwer für uns, auf die Bedürfnisse von Kind oder Partner zu hören?
Aus Angst, sie erfüllen zu müssen. Aber nur, weil man Bedürfnisse hört und versteht, ist man nicht verantwortlich dafür. Als Mama will man, dass es den Kindern gut geht. Man will also nicht, dass sie wüten oder weinen. Sie spüren das und haben das Gefühl, Gefühle nicht zulassen zu dürfen. Wut und Ärger haben aber einen Sinn – sie dürfen zugelassen werden, denn sie sind Alarmsignale dafür, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Auch bei Erwachsenen: Wut soll nicht unterdrückt werden, denn das ist Gewalt gegen sich selbst. Es geht nicht darum, lieb und nett zu sein. Man soll sich klar und ehrlich ausdrücken dürfen. Der andere darf registrieren, dass es einem jetzt sehr ernst ist. Die Frage ist, was ich herausbrülle: Wie blöd die anderen sind oder lieber, was ich gerade bräuchte?
In vielen Familien ist es jeden Morgen sehr stressig. Alle müssen zugleich ins Bad, alle haben es eilig. Die Situation kocht über. Wie könnte man das lösen?
Ist man emotional aufgeladen, sieht man den Kern des Problems oft nicht. Daher erst einmal außerhalb der Situation Klarheit für sich selbst gewinnen, herunterkommen. Wie ist der Ablauf in der Früh zwischen Aufstehen und das Haus verlassen. Wie geht es mir damit? Was wäre mir wichtig? Wenn ich das weiß, kann ich überlegen, was ich erreichen möchte und wie. Bei generellen Themen kann man sich also vorbereiten, den anderen zu sagen, worum es mir geht, zu überlegen, worum es den anderen gehen könnte. Dann gemeinsam in aller Ruhe hinsetzen und sagen: "Unsere Situation in der Früh macht mich unzufrieden. Ich möchte gern gut in den Tag starten und ich möchte, dass es uns allen besser geht in der Früh. Setzen wir uns zusammen und überlegen, was uns allen wichtig ist und wir es machen können." Die Mitbeteiligung der anderen ist sehr wichtig. Die anderen sollen sich gehört fühlen. Jeder bringt seine Idee ein, wie er es gerne lösen würde. Wie machen wir es, dass es für alle passt? Das heißt: Baustellen, die man so immer wieder in der Familie erlebt, sollte man aufräumen, dann ist es insgesamt schon viel entspannter und weniger Konflikte entstehen aus der Situation heraus.
Streitthema Hausübungen und Lernen. Wie könnte man die Situation entspannen?
Zuerst sollten Eltern erkennen, dass das Unwohlsein in Zusammenhang mit dem Erfolg in der Schule immer mit ihnen selbst zu tun hat. Man sagt: "Ich will, dass es dir gut geht in der Schule." In Wirklichkeit ist es doch so: Ist das Kind in der Schule gut, geht es einem selbst gut. Besser offen sagen: "Für mich ist es wichtig, weil sonst muss ich in Sprechstunden gehen, ich muss mit dir streiten, wir haben daheim ein schlechtes Klima, das ist alles unangenehm für mich." Fragen: "Wie geht es dir damit? Was wäre dir wichtig?" Nur zuhören ohne zu bewerten. Die Situation ist für das Kind auch nicht angenehm. Zweite Frage: "Wie könnten wir es aus deiner Sicht lösen? Wie messen wir dann, dass es funktioniert?" Ein Ziel soll gesteckt und erreicht werden. Oder man kann sich auch die Frage stellen, ob das Kind nicht einfach auch einmal die Erfahrung machen darf, einen Fleck zu kassieren. Das ist die Verantwortung der Eltern, welchen Rahmen sie ihrem Kind geben können.
Nicht immer kann man alles ausreden. Wo darf man bei Kindern trotzdem Grenzen überschreiten und wo nicht?
Wenn Geschwister einander schlagen, macht es auf jeden Fall Sinn, einzugreifen oder wenn ein Kind über die Straße rennen will. In diesen Fällen setze ich meine Macht ein, um die Kinder zu beschützen. Wer aber nach dem Motto "Ich will, dass du tust, was ich sage" handelt und straft, setzt seine Macht bestrafend ein. In der Hoffnung, dass das Kind sich zukünftig "richtig" (also, wie ich will) verhält. Was das Kind so lernt, ist: Strafe zu vermeiden. Es lernt nicht, zu verstehen, worum es wirklich geht und worum es Sinn macht, bestimmte Handlungen anders zu machen. Statt aus Einsicht zu kooperieren, lernt es nur, wie es sich verhalten muss, damit es anderen "gefällt". Will man das?