Die Psychologin Christine Sonn-Rankl hat an der
Säuglingspsychosomatik im Wiener Wilhelminenspital
täglich mit erschöpften Mamas zu tun, die dringend Schlaf
bräuchten. Sie kommen nicht nur mit kleinen Babys: Die
Schlafproblematik zieht sich bis weit ins Kindergartenalter hinein. Im Interview mit der Kleinen Zeitung spricht sie von ihren Erfahrungen.
Das größte Problem von Eltern mit nicht durchschlafenden Kindern ist natürlich der Schlafmangel. Aber schon an zweiter Stelle wird immer wieder der große Druck von außen erwähnt. "Schläft dein Kind noch immer nicht durch?" Wie reagiert man darauf?
SONN-RANKL: Solange die Eltern selbst das Gefühl haben, es ist nicht in Ordnung, dass das Kind noch nicht durchschläft, ist man ein dankbares Opfer. Und dabei fragen viele Leute auch nur aus Sorge um die Eltern nach, weil sie ihnen ja wünschten, dass sie mehr Schlaf bekämen. Wenn man es mehr als Solidarität und weniger
als Angriff sehen könnte, würde das den Druck nehmen.
Solange die Kinder ganz klein sind, etwa bis sechs Monate, nehmen das die Eltern meist noch ganz gut hin, die Kinder müssen bis dahin nachts ja noch essen. Es beginnt erst ein Druck zu sein, wenn die Kinder älter werden. Und wenn dann das Einschlafen nur mit Stillen klappt, ist es oft schon ein Thema in der Familie. Kommt es dann von außen auch noch, ist ein Nerv getroffen. Es kann Eltern helfen, zu sagen: "Mein Kind muss noch nicht durchschlafen, in diesem Alter wachen Kinder einfach noch öfter auf." Hoffentlich sterben diese Märchen bald aus, in denen Großmütter erzählen, dass Einjährige schon sprechen, sauber sind und natürlich durchschlafen.
Doch auch, wenn man dem Kind zugesteht, dass es eben noch nicht durchschlafen kann, stellen sich viele Eltern irgendwann die Frage: Wann kann ich endlich wieder schlafen?
SONN-RANKL: Flaschenkinder brauchen ernährungstechnisch, wenn sie die Flasche nicht als Einschlafhilfe haben, ab dem sechsten Monat vor 5 Uhr früh keine Mahlzeit mehr. Stillkinder haben häufig ein erhöhtes Bindungsbedürfnis, die kommen öfter, da dauert es mit dem Durchschlafen meist länger. Es ist grundsätzlich wichtig, dass ein Kind lernt, in seinem eigenen Bett einzuschlafen, ohne getragen oder in den Schlaf gestillt zu werden. Man kann frühestens ab dem vierten Monat langsam damit beginnen, Trinken und Einschlafen nicht mehr zu verbinden, z. B. indem man die Flasche gibt, wenn es noch nicht ganz müde ist. Wenn Kinder keine Einschlafhilfen benötigen, ist das der erste Grundstock, um auch das Durchschlafen zu lernen. Wer ohne Hilfe einschlafen kann, kann auch seine Tiefschlafphasen leichter miteinander verbinden und dann schläft er irgendwann länger am Stück.
Ist also der Trick für das Durchschlafen, dass ein Kind lernt, ohne Hilfe einzuschlafen?
SONN-RANKL: Da spielen zwei Dinge eine Rolle. Das eine ist die Selbstregulationsmöglichkeit eines Kindes, die ist bei jedem Kind anders. Manche können sich selbst leichter beruhigen und eben auch einschlafen, andere nicht. Und die zweite Sache ist die Bindung, und ob man es schafft, sich für eine Nacht zu trennen. Zwei- bis vierjährige Kinder, die schon gut durchgeschlafen hatten, kommen plötzlich wieder zu Mama und Papa ins Bett, das hat bindungstechnische Gründe. Daher ist also eine Kombination aus beidem eine vernünftige Lösung: Sie sollen es möglichst ohne Einschlafhilfe schaffen, aber natürlich nicht ohne Eltern. Eltern dürfen im Zimmer bleiben und sollten dabei möglichst ruhig liegen. Wo sollen Kinder schlafen? Kinder sollten am besten im eigenen Bett einschlafen, anfangs häufig im Beistellbett neben dem Elternbett. Das ist ihr eigener Platz. Kinder sollen Grenzen haben, das ist eine der wichtigsten Grundlagen überhaupt. Damit ist nicht gemeint, dass sich ein Kind gut benehmen soll, sondern damit sind Körpergrenzen gemeint. Daher ist
es beim Schlafen ganz wichtig, dass Kinder ihren eigenen Bereich zum Einschlafen haben. Natürlich dürfen sie in der Nacht zu den Eltern kommen, wenn sie das Bindungsbedürfnis haben. Unruhige Nächte hat man, bis Kinder vier oder fünf Jahre alt sind, dann wird es normalerweise ruhiger.
Kann man schon tagsüber etwas tun, um beim Durchschlafen zu helfen?
SONN-RANKL: Neben einem geregelten Tagesablauf mit Ruhephasen ist es auch ganz wichtig, das Kind so selbstständig wie möglich werden zu lassen. Selbst essen lassen, auch wenn es ein Herumgepatsche sein kann. Alles, was ein Kind selber lösen kann, hilft auch beim Selbst-Einschlafen. Üben kann man das Einschlafen im eigenen Bett am besten mit dem Vormittagsschlaf. Da kann man sich daneben hinlegen und wenn man merkt, dass das Kind nach etwa 45 Minuten so halb aufwacht, kann man mit "Schschsch" oder indem man mit dem Finger die Nase entlangstreicht, versuchen, ihm noch einmal in die nächste Schlafphase zu helfen.
In Ihrem Buch wird auch auf das Familienumfeld eingegangen. Was zählt dabei?
SONN-RANKL: Vielen ist nicht bewusst, wie sehr die psychische Situation der Mutter als stärkster Bezugsperson und die Elternbeziehung insgesamt auf das Baby und seinen Schlaf wirken. Beim Schlafen geht es auch immer um die Ambivalenz zwischen Bindungsbedürfnis des Kindes und das der Mutter. Man muss einander lassen können. Eine Mutter kann ihr Kind dann leichter "lassen", wenn sie auch einen guten Ausgleich hat, mit ihrem Mann oder einer Freundin. Leichter ist es auch, wenn die Beziehung der jungen Mutter mit ihrer eigenen Mutter gut geklappt hat und man kein Defizit aus der eigenen Kindheit im Gepäck hat. Vieles davon überträgt sich und es kostet Kraft.
Sie haben geschrieben: "Gestillte Bedürfnisse verschwinden irgendwann, ungestillte
Bedürfnisse bleiben." Wie kann man das auf den Schlaf
umlegen?
SONN-RANKL: Schlafen lernen hat ja ganz viel mit der Ambivalenz zwischen Nähe und Trennung, also dem Loslassenkönnen zu tun. Das Nähebedürfnis der Kinder
muss unbedingt erfüllt werden, immer darauf achtend, auch ihre Grenzen zu wahren. Je mehr Nähe man anfangs zulässt, desto sicherer können die Kinder dann in die Welt gehen.