Wo warst du gestern Abend? Mit wem triffst du dich? Wer war der Mann, mit dem du gesprochen hast? Fragen wie diese werden in den meisten Beziehungen einmal gestellt. Grund dafür ist auch, dass Fremdgehen ein Thema ist, das nicht weggeleugnet werden kann. Denn nicht nur in Serien, Filmen und Romanen kommt es vor, dass Protagonistinnen und Protagonisten einen Seitensprung wagen. Im realen Leben zeigt sich: Knapp die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher haben bereits Erfahrung damit gemacht.

So legte eine 2022 durchgeführte Studie der Dating-App Parship dar, dass 22 Prozent der Männer und Frauen bereits einmal oder mehrmals betrogen wurden. 12 Prozent sind selbst fremdgegangen und 13 Prozent haben bereits beides erlebt. Aber wie kommt es dazu?

Dass man andere Menschen anziehend oder attraktiv findet, obwohl man sich gerade in einer Partnerschaft befindet, sei normal, erklärt Sexual- und Gesundheitspsychologin Daniela Renn: „Das gehört zum Leben einfach dazu und kann auch etwas sehr Befruchtendes für die Beziehung selbst sein. Es tut gut, wenn man merkt, dass man Menschen attraktiv findet und auch wenn man selbst attraktiv gefunden wird.“ Diese Tatsache an sich sei also unproblematisch. Die Frage sei viel mehr, was man daraus macht – ob es nur bei einer Fantasie bleibt oder man weiter geht.

Ob Menschen fremdgehen, hängt auch stark mit der Beziehung zusammen, die sie führen. „Am häufigsten kommt es zu einem Seitensprung, wenn man das Gefühl hat, von seinem Partner etwas nicht zu bekommen, was man aber braucht“, so die Expertin. Und es muss nicht zwingend der Sex sein, der einem in der Partnerschaft fehlt – auch wenn man das Gefühl hat, zu wenig Aufmerksamkeit oder Zuwendung zu bekommen, kann das der Auslöser dafür sein, diese woanders zu suchen.

Wie Menschen den Betrug dann rechtfertigen, ist unterschiedlich. Männer tendieren eher dazu, sexuelle Gründe in den Vordergrund zu stellen, sagt Renn: „Begründet wird der Seitensprung dann häufig damit, dass man in der Beziehung zu wenig Sex bekommen und sich diesen daher woanders gesucht hat. Ebenso häufig ist die Aussage, dass man verführt wurde.“

Dass Männer häufiger betrügen, sei allerdings ein Klischee, das vor allem deswegen vorliege, weil Fremdgehen bei Frauen sozial weniger akzeptiert ist. Meist rechtfertigen Frauen ihren Seitensprung auch anders: „Es wird häufig erwähnt, dass man sich in jemanden verliebt hat oder zumindest emotional abgeholt wurde“, sagt Renn. Hinweggesehen wird über das Fremdgehen am ehesten dann, wenn es gemeinsame Kinder gibt und/ oder eine finanzielle Abhängigkeit besteht.

Auch ohne Sex kann man fremdgehen 

Den anderen zu betrügen, heißt aber nicht immer, dass es dabei zu sexuellem Kontakt kommen muss. Auch emotional kann man fremdgehen – etwa indem man sich in eine andere Person verliebt und mit dieser viel Zeit verbringt: „Dies wird von Partnerinnen und Partnern schlimmer wahrgenommen, als wenn es nur um Sex geht. Denn dieses emotionale Fremdgehen betrifft direkt die Beziehungsebene“, so die Expertin. Wo genau Fremdgehen beginnt, sei von Beziehung zu Beziehung unterschiedlich. Das Problem dabei: „Oft haben die Partner hierzu unterschiedliche Ansichten, die nicht besprochen wurden.“

Daniela Renn
Daniela Renn © Aleksandra Kawka

Und wenn es passiert ist? Sollte man beichten oder schweigen? „Es geht stark darum, womit die- oder derjenige am besten leben kann“, sagt Renn. Jedoch sei auf jeden Fall zu bedenken: „Mit dem Fremdgehen und dem Verschweigen ist es wie mit jeder anderen Lüge auch: Irgendwann kommt das Ganze raus.“ Und spätestens dann muss man sich für seine Taten rechtfertigen.

Doch es gibt durchaus Beziehungen, die in gewisser Weise resilient gegenüber Untreue sind: „Ein Seitensprung ist dort unwahrscheinlicher, wo tiefe Zuneigung füreinander empfunden wird. Und auch dann, wenn gemeinsame Vorstellungen vorherrschen und gelebt werden – sowohl im Bereich der Sexualität als auch der Lebensplanung“, meint die Psychologin.