Wer sagt, er oder sie sei noch nie so richtig wütend gewesen, spricht vermutlich nicht die Wahrheit. Wut ist eine grundlegende Emotion des Menschen und kommt in allen Altersstufen vor. Doch vor allem bei Kindern und Jugendlichen in gewissen Entwicklungsphasen können solche Wutanfälle gehäuft auftreten – und ganz schön einschüchternd wirken. Hat ein kleines Kind einen großen Wutanfall, kann es schon einmal vorkommen, dass es schreit, weint, um sich schlägt, sich am Boden wälzt oder mit den Füßen stampft und mit Gegenständen wirft. Auch für Eltern ist das keine leichte Situation. Aber wie kommt es eigentlich dazu, dass kleine Kinder manchmal gar so wütend zu sein scheinen?
Ulrike Sirsch, Entwicklungspsychologin an der Uni Wien, erklärt: "Im zweiten Lebensjahr beginnt bei Kindern die Trotzphase. Wie stark sich diese auswirkt, ist von Kind zu Kind verschieden – bei manchen nur ganz leicht, bei anderen wiederum heftig." Buben neigen eher dazu, dass sie in dieser Phase häufiger und intensiver wütend werden. Grundsätzlich hängt die Ausprägung aber auch stark mit dem Temperament des jeweiligen Kindes zusammen.
"Das kann für Eltern natürlich sehr anstrengend sein. Aber eigentlich müsste man Müttern und Vätern vermitteln, dass diese Phase auch etwas Positives ist. Sie zeigt uns, dass hier Entwicklung passiert und Kinder Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernen, die sie brauchen", so die Expertin. Denn in diesem Alter haben sich die jungen Menschen bereits einiges an Fähigkeiten angeeignet – so etwa motorische. Das führt dazu, dass sie nach mehr Selbstständigkeit streben. Und wenn das nicht möglich ist, folgt die Frustration.
Auch Situationen, die Angst machen oder allgemein überfordern, können solche Wutanfälle auslösen. Doch was kann man als Elternteil tun, wenn sich das Kind scheinbar nicht mehr beruhigen lässt? "Kleine Kinder können ihre Emotionen selbst noch nicht gut regulieren. Daher brauchen sie dafür die Hilfe ihrer Eltern. Kommt es zu einem Wutanfall, kann es helfen, dem Kind Ablenkung zu bieten", sagt Sirsch. Das kann durch ein Spielzeug erfolgen oder auch in Form von Zuwendung.
Doch nicht nur im Kleinkindalter werden Kinder ganz schön wütend. Solche Phasen kommen immer wieder vor. Und verstärkt auch dann, wenn die Pubertät einsetzt. "Auch in diesem Lebensabschnitt streben junge Menschen nach mehr Selbstständigkeit", sagt die Entwicklungspsychologin. Da dieses Streben nicht immer mit der Erwartungshaltung der Eltern zusammenpasst, gibt es hier Potenzial für starke Emotionen und Streit.
"In der Pubertät kommt es auch zu körperlichen Veränderungen. Neben den offensichtlichen, gibt es auch solche, die man nicht sieht. So etwa im Gehirn", sagt Sirsch. Diese führen auch dazu, dass die jungen Menschen risikobereiter sind. "Jugendliche haben weniger Selbstregulation und Impulskontrolle. Und was in diesem Alter stark passiert, ist ein starker Wunsch nach mehr Autonomie. Und dann kommt es in diesem Zusammenhang zu endlosen Diskussionen mit den Eltern." Was es in dieser Zeit braucht? Etwas Geduld und Gelassenheit auf beiden Seiten. Und Eltern müssen ein wenig an Kontrolle abgeben: "Es ist gut, Freiräume zu gewähren und Autonomie zu fördern."