VATER: Lieber Jakob, wenn du dich entscheiden müsstest: Familienurlaub oder Interrail?

SOHN: Da muss ich nicht lange überlegen: Familienurlaub!

VATER: Hast du dir damals, als du 16, 17 warst, gedacht: Eigentlich würde ich lieber mit Freunden durch Europa tingeln, dort bleiben, wo es uns gerade gefällt, in Amsterdam den ersten Joint rauchen …

SOHN: Ich hatte nie das Gefühl, etwas zu versäumen.

VATER: Das Abenteuer des Schienenstranges hat dich nicht gelockt? Auch ein Mal etwas Verbotenes zu tun, dunkle, unbekannte Orte aufzusuchen, weit weg vom Elternhaus?

SOHN: Ich verstehe gut, dass andere so ein Abenteuer suchen. Wäre ich ein Einzelkind, hätte ich wahrscheinlich auch den Rucksack geschultert. Aber in einer großen Familie, glaube ich, ist es anders. Unsere Familienurlaube begannen schon vor dem Losfahren. Am letzten Schultag gab es das Sommerfest bei den Großeltern. In einer langen Reihe standen wir Enkel vor dem Opapa, erhielten ein großzügiges Urlaubsgeld, nur zum Vertrantscheln. Dann das Packen, als kleinster Sohn musste ich viele Jahre alle Campingutensilien vom Garagendach holen, der Start knapp vor Mitternacht, das Ankommen in der Früh auf dem Campeggio – und alles war wie immer.

VATER: Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, dass wir 20 Jahre lang immer auf denselben Platz gefahren sind. Andere Kinder sind mit ihren Eltern in dieser Zeit auf verschiedenen Kontinenten unterwegs gewesen, haben die halbe Welt gesehen. Hast du dir nie gedacht: Ich muss mit meinen Geschwistern ein Zelt teilen, auf einem kleinen Campingplatz, der außer alten, Schatten spendenden Pinien nichts bietet, während deine Schulfreunde jedes Jahr etwas Neues kennenlernen: in Thailand, in den USA, in Island.

SOHN: Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich mit ihnen, solange sie klein sind, nicht fliegen. Und auch danach nicht ständig.

VATER: Ich bewundere Eltern, die mit ihren Kindern Bildungsreisen unternehmen, sie in Museen und Kirchen in die faszinierende Welt der Kunst einführen. Haben wir (deine Mutter wäre ja als klassische Philologin prädestiniert dafür gewesen) euch etwas vorenthalten?

SOHN: Nein, außerdem habt ihr uns ja auch immer wieder etwas gezeigt.

VATER: Ich hab unseren kurzen Aufenthalt in Siena noch in guter Erinnerung. Während eure Mutter auf die grandiose Bauweise des Palazzo Pubblico aufmerksam machte, waren eure Augen von der prachtvollen Fassade weg und hin zu der schlichten Ansicht eines Holzstanderls gewandert, vor dem viele Fußballdressen flatterten.

SOHN: (lacht) Von dem Ausflug weiß ich noch, dass ich mir ein Dress von Totti gekauft hab.

VATER: Es gab keinen Sommer, in dem nicht – zumindest für eine Woche – unsere ganze Familie zusammen verreiste. Früher in einem Bus zu elft, heuer waren wir 20, mit fünf Autos.

SOHN: Ja, mit jedem Jahr werden es mehr. In diesen unbeschwerten Tagen ohne Termindruck und Anspannung hat man mehr Zeit füreinander, vor allem auch für die drei kleinen Nichten und den Neffen. Und im kommenden Sommer wird die nächste Generation wieder um eine oder einen mehr sein.

VATER: Meine Eltern machten mit uns Kindern auch keine spektakulären Fernreisen. Wir verbrachten die Ferien in einem kleinen Holzhaus am Wörthersee. Für mich gab es nichts Schöneres, als auf den Planken des Stegs zu liegen und zuzusehen, wie die Wolken zogen. Und der Wipfel der Trauerweide sich lautlos bewegte. Wenn es Nacht wurde, schwebten Glühwürmchen über die kleine Wiese. Wir versuchten sie einzufangen. Aber kaum berührten wir sie, erlosch das magische Licht und der Zauber war dahin.

SOHN: Weißt du, dass ich von meinem ersten Campingurlaub oft träume? Von der großen Freiheit, wenn wir auf unseren Rädern losfuhren, wann und wohin wir gerade wollten: zur Sala Giochi oder zur Pizzeria mit der besten Margherita der Welt. Ich kann sogar noch genau das Geräusch der Schere nachempfinden, mit der die riesige Pizza in Stücke geschnitten worden ist.

VATER: Du bist ja heuer mit einigen deiner Geschwister von unserem neuen Urlaubsdomizil mehr als zwei Stunden nach Montalto, deinem alten Sehnsuchtsort, gefahren.

SOHN: Ja, ich hatte ein bisschen Angst, dass es nicht mehr so ist, wie es einmal war. Aber Gott sei Dank war alles so wie immer. Die große Vertrautheit mit diesem kleinen Stück Pinienwald, das für mich als Bub das Paradies bedeutete, war wieder da – wenigstens für einen Tag.