Jetzt nur keinen Fehler erlauben! Egal ob bei der Arbeit, beim Sport oder in Gesprächen: Häufig streben wir nach Perfektion. Geht es darum, den eigenen Nachwuchs großzuziehen, ist der Druck, alles perfekt zu machen, oft noch größer. Dabei wirkt es sich auf Kinder durchaus positiv aus, wenn ihre Eltern nicht scheinbar fehlerfrei sind.

Das Bemühen darum, gegenüber Töchtern und Söhnen perfekt sein zu müssen, ist für alle Familienmitglieder ungesund, erklärt Familienberaterin Tanja Draxler: „Hat man es sich selbst zur Aufgabe gemacht, keine Fehler haben und zeigen zu dürfen, entsteht ein enormer Druck im Körper.“ Ewig lässt sich dieser dann aber nicht im Inneren verstecken: „Man kann sich das vorstellen wie einen Dampfdruckkessel mit geschlossenem Ventil. Wenn man seine Gefühle ständig unterdrückt und nicht authentisch sein kann, geht das Ganze irgendwann in die Luft“, so die Expertin.


Dabei handle es sich dann um überzogene Reaktionen, die sehr plötzlich kommen: „Es kann etwa passieren, dass der Elternteil etwa die Kinder wegen einer Kleinigkeit laut anschreit und wirklich eine Krise ausbricht, die sonst nicht entstanden wäre“, sagt Draxler. Die Selbstkontrolle – auf welche man es beim Perfektionismus so stark anlegt – geht von einer Sekunde auf die andere verloren.

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Dabei ist der Versuch, für die eigenen Kinder perfekt zu sein, gar nicht unbedingt notwendig: „Kinder können sehr gut mit Fehlerhaftigkeit umgehen. Sie sind ja auch selbst nicht perfekt – so wie es kein Mensch ist.“ Wenn Erwachsene zu ihren Fehlern und negativen Gefühlen stehen, kann das für den Nachwuchs sehr heilsam sein. Denn wenn Kinder scheinbar perfekte Eltern haben, kann das in ihnen auch den Druck erzeugen, selbst perfekt sein zu müssen: „Damit gibt man diese unbewältigbare Anforderung dann an die nächste Generation weiter“, erklärt die Familienberaterin.

Zu einem großen Teil kommt das Streben nach eigener Perfektion aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten: „Menschen, die jetzt gerade Kinder haben, sind in der Zeit der Leistungsgesellschaft groß geworden. Als Motto hat man stets im Hinterkopf: immer höher, immer schneller, immer weiter.“ Das führt häufig dazu, dass man sich für scheinbare Unzulänglichkeiten schämt und sich schwertut, negative Emotionen offen zu zeigen. „Wenn ich durch diesen Leistungsdruck das Gefühl habe, nicht zu genügen, beginnt man sich häufig als perfekt zu zeigen. Auf den ersten Blick erleichtert das vieles, weil ich mir meine Fehler nicht zugestehen muss. Aber auf Dauer macht es alles schwieriger“, so Draxler.

Etwa dann, wenn die Emotionen aus einem herausplatzen. Doch auch körperlich bekommt man diesen Druck zu spüren: „Häufig zeigt sich das dann in Kopfschmerzen oder Rückenbeschwerden.“ Bemerkt man in sich diesen Drang, perfekt sein zu müssen, sollte man zuerst in sich selbst hineinspüren und die eigenen Bedürfnisse erkennen, rät die Expertin. Erst dann könne man auch voll und ganz für seine Kinder da sein: „Man kann sich das vorstellen, wie die Situation, wenn im Flugzeug der Druck abfällt. Da muss man sich auch zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, bevor man anderen helfen kann.“


Zusätzlich sollte man sich fragen, was man den eigenen Kindern vorleben möchte: „Diese profitieren sehr davon, wenn sie am Beispiel der Erwachsenen sehen, dass es okay ist, Fehler zu machen, negative Gefühle und auch Angst zu haben.“ Dazu kommt: „Kinder sind sehr feinfühlig. Auch wenn man etwa versucht, Traurigkeit zu überspielen, um den Nachwuchs zu schützen, spüren sie, dass die eigene Mama betrübt ist. Passt das Verhalten der Mutter aber nicht zu dem, was die Kinder emotional wahrnehmen, verwirrt sie das“, so Draxler.

Stehen Eltern offen zu ihren Emotionen und Fehlern, bringt das die notwendige Wärme in die Beziehung: „Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Kinder brauchen liebende Eltern und müssen das Gefühl haben, von diesen gesehen und ernst genommen zu werden“, so die Erziehungsberaterin. Dort wo Raum für mögliche Unzulänglichkeiten ist, ist auch Platz für ehrliche Kommunikation. „Man kann sich das Familienleben vorstellen wie einen Wald. Kommen wir beim Spazieren in einen, der nur aus geraden und fehlerfreien Bäumen besteht, fühlen wir uns bei Weitem nicht so wohl wie dort, wo Bäume auch schief wachsen und alles wild wuchern kann.“