Aufregend, beängstigend und manchmal mit einem gewissen „Wäh“-Faktor verbunden – der erste Kuss bleibt unvergessen. Feuchte Hände, rote Ohren und ein Herz, das bis zum Hals schlägt. Allesamt Erfahrungen, die zum Heranwachsen dazugehören. Doch in Zeiten der Krise sind die Bedingungen für das Sich- selbst-Erproben und -Erleben erschwert. Verstohlene Blicke im Schulbus, Flaschendrehen am Skikurs, erste Tanzversuche beim Maturaball – abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben.
"Generation beziehungsunfähig"?
Zwischenmenschliches als Konsumartikel
Gerade in Pre-Corona-Zeiten erlebten demnach viele Sex und Intimität als schnelle Sache. „Vor allem durch das Internet und seine vielen Möglichkeiten entwickelte sich zwischenmenschliche Nähe zum Konsumartikel.“ Hohe Erwartungen inklusive: Vielleicht kommt ja noch jemand Besseres? Gleichzeitig verwahrlosen durch die Austauschbarkeit die Umgangsformen. „Quasi per Wisch-und-weg-Prinzip enden zunächst vielversprechende Bekanntschaften ohne Angabe von Gründen“, meint die Expertin.
Aktuell werde das Gegenüber genauer geprüft, würden die Profile genauer angeschaut, Gespräche intensiver geführt. „Durch die Pandemie lernen wir Beziehungen anders zu denken.“ Es bilde sich „eine neue Art der Anbahnung“, sagt die Expertin. Dabei stünde die Rücksicht auf das Gegenüber verstärkt im Vordergrund. Aber auch die Fürsorge für sich selbst. Gerade bei jungen Menschen gäbe es eine hohe Testbereitschaft. „Leichtigkeit und Unbeschwertheit entstehen also nur dann, wenn ich die verlässliche Basis geklärt habe.“
Eine Gegenbewegung formiert
Im Ausnahmezustand wird das Internet zum Zufluchtsort. Dort werden Jugendliche durch Pornos an Sexualität herangeführt. Fehlt die Medienkompetenz, nehmen sie diese Filme nur erschwert als das wahr, was sie sind: nicht echt. Hinzu kämen überholte Stereotype: „Er ist der Macker, sie das ,Trutscherl‘ – wir erleben also Geschlechterbilder, die vom Klischee normiert werden.“ Umso erfreulicher sei es, dass sich auch im Internet eine Gegenbewegung formiere. Die Sehgewohnheiten beginnen sich zu verändern. Vor allem auf Instagram, wo die meisten Bilder und Videos perfekt inszeniert sind. Welche Bedürfnisse habe ich? An wem möchte ich mich orientieren? Laut Nicole Siller beschäftigen sich immer mehr junge Menschen mit ihrem Innenleben und organisieren sich neu. „Im Internet finden sie Gleichgesinnte, und das ist eine gute Entwicklung“, sagt sie.
„Fühle mich sozial ausgehungert“
Katrin Fischer