Mama, was ist Terror? Die Ereignisse in Wien haben derzeit nicht nur die Nachrichtenlage fest im Griff, sondern konfrontieren Eltern auch mit unangenehmen Fragen. Schreckensbilder werden durch die Sozialen Medien bis ins Kinderzimmer gespült. Diese Bilder wirken nachhaltig und verunsichern selbst Erwachsene.
Doch die Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger warnt eindrücklich davor, in Gegenwart von Kindern in Panik zu verfallen: „Das kindliche Verhalten ist in vielerlei Hinsicht durch die Evolution geprägt. Aus der freien Wildbahn wissen wir: Ich bin am besten beraten, wenn ich mich der Führungskraft, in diesem Fall den Eltern, anpasse.“ Fürchten sich also die Eltern, überträgt sich das auf Kinder.
"Dafür bist du noch zu klein"
Soll man also die Wahrheit verschweigen? „Auf keinen Fall“, sagt die Kinderpsychologin Simone Breitenfeld. Laut ihr entstünden diffuse Ängste durch Unwissenheit. Gerade die Jüngeren nehmen vieles nur bruchstückhaft auf. Versuchen Kinder ihre Gedanken logisch zu ordnen, ziehen sie womöglich falsche Schlussfolgerungen und ängstigen sich. Anstatt Kinder also mit aufgeschnappten Schnipseln abzuspeisen, sollten Eltern ihre Kinder informieren.
Der Umgang mit Angst und Unsicherheit in krisenhaften Zeiten ist eine Herausforderung. Deshalb liegt es an den Erwachsenen, den Jüngsten nach bestem Wissen und Gewissen den Weg vorzugeben: "Und zwar nicht, indem man Kindern eine Glocke über den Kopf stülpt, sondern ihnen Stärke und Zuversicht vorlebt", sagt Breitenfeld.
Aufklärung bedeutet aber nicht, die Kinder kommentarlos vor dem Fernseher zu parken: „Nachrichten sind kein Kinderprogramm“, so Breitenfelder. Für Erklärungen müsse man eine Sprache wählen, die Kindern zumutbar sei. Man darf ruhig sagen: „Gestern ist etwas Schreckliches passiert.“ Aber man sollte hinzufügen: „Und wenn du Fragen hast, dann werde ich sie dir gerne beantworten.“
Dabei sollten Sie das Geschehen weder bagatellisieren noch das Kind unnötig aufputschen. Wichtig ist es, beruhigend einzuwirken und die Sorge wieder in die richtige Proportion zu rücken. Zum Beispiel, indem man einen Schutzfaktor einbringt und sagt: „Wir sind in Sicherheit. Außerdem gibt es die Polizei, die gerade ihre Arbeit macht und nach den Verdächtigen sucht.“
"Wir lassen uns nicht unterkriegen"
Mit älteren Kindern und Jugendlichen, die sich im Internet ihre Informationen holen, müssen Eltern in eine direkte, kritische und informierende Diskussion gehen. Dazu gehört auch, zu erklären, was Terror ist und wie er funktioniert: „Terror möchte destabilisieren und eine Spaltung in unserer Gesellschaft provozieren. Hier geht es nicht um Glaube oder Politik, Terror ist ein Verbrechen“, betont Martina Leibovici-Mühlberger. Gleichzeitig warnt sie davor, Kinder mit Vorurteilen zu konfrontieren: „Nicht jeder Mensch, der dem Islam zugehörig ist, ist Terrorist. Packen Eltern dieses Etikett auf das Thema, bedeutet das für Kinder eine schwere Verunsicherung in ihrer sozialen Einschätzung.“ Das wirksamste Gegengift sei hingegen Zusammenhalt.
Und wie kann die Schule dabei helfen? Leibovici-Mühlberger wünscht sich in den nächsten Wochen Aufklärungsarbeit mit Schülern: Warum gibt es Terror? Welche Mechanismen stecken dahinter? Und wie wirkt sich unser Wohlstandsgefälle darauf aus? „Nehmen Kinder und Jugendliche später den Globus in die Hand, brauchen sie das Geschick, ruhig, besonnen und positiv auf solche Situationen zu reagieren.“
Und dann noch das Virus
Auf das Coronavirus folgt der Terror. Ist das noch zumutbar? „Im Prinzip sind Kinder keine Zielpersonen von Terror“, sagt Martina Leibovici-Mühlberger. „Diese Gedanken tun sich eher bei Erwachsenen auf: Zuerst werde ich angesteckt und jetzt auch noch umgebracht.“ Genau hinschauen müsse man trotzdem – vor allem welche Langzeitfolgen das Social Distancing für die Psyche haben kann: „Fehlen soziale Kontakte, kann auf eine Überlastung mit der Zeit eine Überforderung des psychischen Organismus folgen – etwas, wovor auch Kinder nicht gefeit sind.“
Katrin Fischer