Es gibt einen Ort, wo Fakten nicht mehr gegen Emotionen ankommen. Und zwar das Internet. Wer nicht sucht, wird trotzdem fündig: Egal, ob Facebook, Youtube, Instagram – immer öfters tauchen dubiose Links im eigenen Newsfeed auf. Und wenn es dort steht, dann wird es wohl stimmen. Das sagt zumindest Mamas Bekannte, die seit Neuestem glaubt, dass Corona-LeugnerAttilla Hildmann im Grunde schon recht hat, mit dem was er sagt. Und Mama? Die gibt ihrer Bekannten mittlerweile recht. Irgendetwas wird an der Sache schließlich schon dran sein.
Gerade in Hinblick auf das Coronavirus kursieren in den sozialen Netzwerken viele Fake News. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass falsche Informationen bei Epidemien mit ansteckenden Krankheiten die Ausbrüche schlimmer machen können: „Uns macht die hohe Zahl von Gerüchten und Falschinformationen Sorge, die unseren Einsatz behindern“, mahnte die WHO bereits im Februar. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus nannte diese Entwicklung schon zu Beginn der Coronavirus-Pandemie eine "Infodemie", die Menschen mit einer schier unendlichen Flut von Information zu erschlagen drohe. Darunter seien Falschinformationen und Verschwörungstheorien, die Menschen verunsicherten.
Impfverschwörung am Familientisch
Natürlich ist nicht jeder Onkel, der in der WhatsApp-Familien-Gruppe einen dubiosen Kettenbrief teilt, ein hoffnungsloser Verschwörungstheoretiker. Doch wann sprechen wir noch von fehlender Medienkompetenz? Und woran erkenne ich, dass ein Angehöriger bereits schwerwiegend einem Irrglauben verfallen ist?
Mirko Bode arbeitet für die Berliner Initiative "Der goldene Aluhut". Dort berät er Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Er vergleicht den Glauben an Verschwörungen mit einem Alkoholproblem: "Problematisch wird es erst dann, wenn exzessiv konsumiert wird, der Körper mit der Schadensbegrenzung nicht mehr hinterherkommt und sich das Denken und Handeln nur noch um diese eine Sache dreht." Laut Bode führen Verschwörungsmythen ähnlich wie bei Alkoholismus langfristig zu Wesensveränderungen, wie etwa einer paranoiden Weltsicht und zunehmender Isolation. "Am Anfang mag man das noch belächeln und denjenigen als 'leichten Spinner' abtun, aber ähnlich wie bei der Alkoholkrankheit nimmt es meist kein gutes Ende."
Fakten stoßen auf taube Ohren
Laut Bode sei es schwierig mit einem Betroffenen über Fakten zu sprechen: "Tatsachen werden konsequent uminterpretiert oder ignoriert." Vor allem, weil Verschwörungsmythen immer von einem sogenannten Dualismus leben. Sprich: Irgendwann entsteht ein Gefühl von "wir" gegen "die". "Das macht es sehr schwierig, diese Menschen zu erreichen und ihnen zu vermitteln, dass man helfen will", so Bode.Mirko Bode vergleicht Verschwörungserzählungen mit einem Kaninchenbau: "Je mehr man konsumiert, desto tiefer verläuft man sich in den immer abstruser werdenden Geschichten", sagt der Experte. "Unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen die Hand zu reichen und ihnen zu helfen, wieder den Ausstieg aus dem Bau zu schaffen." Aber wie kann das gelingen?
Ein Patentrezept gibt es laut Bode nicht. Er empfiehlt aber drei grundsätzliche Dinge:
- Gibt es wichtige Bezugspersonen im Leben des Betroffenen? Das kann der Ehepartner, ein Mitglied im Sportverein oder ein Kollege in der Firma sein. Auf jeden Fall eine Person, zu dem der Betroffene aufschaut. Bode empfiehlt diese Person anzusprechen und damit zu konfrontieren, dass Sie sich Sorgen machen. Teilt diese Person Ihren Argwohn, sollten Sie gemeinsam das Gespräch mit dem Betroffenen suchen.
- Seien sie im Gespräch positiv und wertschätzend. Bode sagt: "Verurteilen Sie nicht, zeigen sie aber auf, wie das Verhalten des Betroffenen die gemeinsame Beziehungsebene belastet."
- Halten Sie ihm immer eine Tür offen. Sollte die betroffene Person irgendwann feststellen, dass er einem Irrtum aufgesessen ist, sollte er jederzeit zu Ihnen kommen können, um sich auszusprechen. "Es ist kein Gesichtsverlust, wenn die Person 'aussteigen' will", so der Experte.
Ufern Gespräche in Schreiduelle aus, ist niemandem geholfen. Um verhärtete Fronten zu vermeiden, rät der Experte zu Wertschätzung. Auch, wenn es schwerfällt. "Verschwörungstheoretiker sind ja keine 'dummen Menschen', sondern machen sich viele Gedanken um die Welt. Nur leider haben sie auf der Sinnsuche den Boden der evidenzbasierten Fakten verlassen", stellt Bode klar.
Und wenn alles nichts hilft?
Hierbei gilt es zu unterscheiden: Handelt es sich bei den Betroffenen um
Freunde oder entfernte Verwandte, könne man eigentlich nur den "Kontakt einschränken und abwarten", stellt Bode klar.
Ist der eigene Partner derjenige, der einem Verschwörungsglauben aufsitzt, sei die Sache komplizierter. Hier könne es zum Beispiel helfen, die Person zu bitten, während des gemeinsamen Beisammenseins auf den Konsum von Videos zu verzichten. Oder grundsätzlich eine Zeit lang Urlaub vom Internet zu praktizieren. "Mit etwas Glück arbeitet das Gehirn die Widersprüche in den Verschwörungstheorien selbständig auf", stellt Mirko Bode in Aussicht.
Stellt sich keine Verbesserung ein, gilt es allerdings sich selbst und eventuell Kinder und Jugendliche, die mit der Person in Kontakt stehen, zu schützen. Denn: "Glaubt eine Person 'erleuchtet' zu sein, legt sie meistens einen sehr missionarischen Eifer an den Tag, der unheimlich viel Energie rauben kann." Hierbei liegt es an Ihnen, der Person ab einem bestimmten Punkt deutlich zu machen, "dass Sie diesen Weg nicht mitgehen werden und er dabei ist Ihre Beziehung zu zerstören."
Der "Point-of-No-Return"
Im schlimmsten Fall steht am Ende des Konflikts der große Bruch. Hoffnungslos sei ein Fall nämlich dann, wenn die Person selbst anfängt Material zu produzieren. Sprich: Baut sich eine Person ihre eigene Anhängerschaft auf, gibt es für einen "Point-of-No-Return". Warum das so ist, hängt laut Mirko Bode auch mit einem existenziellen Gefühl zusammen: "Neben Einnahmen aus Werbung und Klickzahlen, würde ich auch das komplette Ansehen und meine neue Internetfamilie verlieren, wenn ich aussteige." Die Person wird zur Geisel ihrer eigenen Märchen.
Katrin Fischer