Finanzielle Unsicherheit, Zukunftsängste und kaum Rückzugsmöglichkeiten: Die letzten Wochen haben in vielen Familien zu angespannten Verhältnissen geführt. „In solchen Situationen steigt die Gefahr, dass Kinder zu Hause Gewalt erleben und Familien zerbrechen“, warnt Heidi Fuchs, Geschäftsleiterin der SOS-Kinderdörfer Steiermark und Kärnten. Zugrunde liegt solchen Gewaltausbrüchen meist Perspektivlosigkeit und großer Druck, der auf den betroffenen Personen lastet. "Menschen, die ohnehin schon zu Aggression neigen, werden in so einer Situation noch aggressiver“, sagt Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Sichere Orte fehlen

Leidtragende sind zum einen Frauen: Frauenschutzorganisationen meldeten in den letzten Wochen einen Anstieg häuslicher Gewalt. So lag die Zahl der Wegweisungen (der Gewalttäter darf die gemeinsame Wohnung für mindestens zwei Wochen nicht betreten) im Februar österreichweit bei 874, im März bereits bei 971.
Zum anderen zählen Kinder und Jugendliche zu den Opfern: Zwar sind die Gefährdungsmeldungen bei Polizei und dem Jugendamt zurückgegangen. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft sieht das aber keineswegs als Grund zum Aufatmen. Durch die Schul- und Kindergartenschließungen seien für viele Kinder Schutzräume und Sicherheitszonen weggefallen.

Dieses Video könnte Sie auch interessieren

„Nicht für jedes Kind ist das Zuhause ein sicherer Ort“, bestätigt SOS-Kinderdorf-Leiterin Fuchs. Kinder, die sich daheim nicht sicher fühlen, lagern ihren Rückzugsort oftmals aus. Gerade in Schulen oder Vereinen gebe es häufig Vertrauenspersonen, an die sich Kinder und Jugendliche wenden.Während der prüfende Blick dieser Vertrauenspersonen wegfiel, stiegen die anonymen Anrufe bei Polizei und Jugendamt an. Vermehrt meldeten Nachbarn Zwischenfälle. Dabei sei auffällig, dass man oft zu Familien gerufen werde, die zuvor noch nicht gemeldet wurden. Zwei Faktoren dürften dafür eine Rolle spielen: Einerseits seien viele Nachbarn jetzt den ganzen Tag zu Hause und bemerken gefährliche Situationen vermehrt. Andererseits komme es in einigen Familien aktuell zu einer Zuspitzung von Konflikten.

Mehr Anfragen bei Beratungsstellen

Bei der Beratungshotline „Rat auf Draht“ gab es seit Beginn der Krise jedenfalls um ein Drittel mehr Anrufe hilfesuchender Kinder und Jugendlicher.


Aber was kann man als Außenstehender tun, wenn man eine potenziell gefährliche Situation bemerkt? „Das Wichtigste ist, nicht wegzuschauen“, meint Fuchs. „Schon wenn man sich einfach nur bemerkbar macht, kann das die Anspannung aus einer Konfrontation nehmen.“ Fuchs verweist dafür auf die Methode „Paradoxe Intervention“. „Es kann eine Situation entschärfen, wenn ich einen Betroffenen einfach nach der Uhrzeit frage“, meint Fuchs. Dadurch bietet sich für die betroffene Person die Möglichkeit, die Situation zu verlassen. Spitzt sich ein Konflikt zu, gilt es die Behörden zu informieren.

Familien brauchen jetzt Perspektiven

Um Kinder zu schützen, brauche es aber mehr als aufmerksame Mitmenschen. Fuchs sieht die Politik in der Verantwortung: „Familien brauchen dringend mehr Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen für die Kinderbetreuung.“ Die bevorstehenden Schulöffnungen bewirken vielfach nur eine Veränderung der Ausnahmesituation: Manche Eltern etwa müssen nun wieder außerhalb des Homeoffice arbeiten, der Schulbesuch wird jedoch nicht täglich stattfinden.Viele haben in den letzten Wochen Urlaub genommen, um ihre Kinder betreuen zu können. Dadurch könnte ein großer Bedarf an Betreuung im Sommer entstehen. Daher brauche es vonseiten der Politik einen Fahrplan für Familien: „Wir dürfen Eltern damit nicht alleine lassen“, betont Fuchs.