Das Sommersemester kann kommen. Und damit Nummer zwei der Leistungsrallye in diesem Schuljahr. Tests, Schularbeiten, Hausaufgaben, Referate: Vor Schülern und Lehrern türmt sich wieder ein Berg an Anforderungen, der bis Ende Juni abgetragen werden muss. Wo bleibt die Freude am Lernen? Und was muss Schule heute können? Mit diesen Fragen haben sich schon unzählige Schulreformen, Bildungsexperten, Schule-neu-Forderungen befasst.

„Ich versuche seit Jahrzehnten herauszufinden, wie sich das Schulsystem verändern lässt. Ich war in Arbeitskreisen der deutschen Bundeskanzlerin mit vielen hochrangigen Experten. Meine Erkenntnis ist: Die Veränderung, die es braucht, ist auf politischer Ebene einfach nicht umsetzbar. Also muss sich Schule von unten verändern.“ Zu diesem Schluss kommt der deutsche Neurobiologe und vielfache Sachbuchautor Gerald Hüther. Dieser Tage erscheint sein neues Buch „#Education For Future. Bildung für ein gelingendes Leben“. Es widmet sich der Frage, wie Bildung ausschauen müsste in dieser sich wandelnden Welt mit zerbröselnden Hierarchien, einer sich transformierenden Arbeitswelt, ungewissen Zukunftsszenarien.


Eine kühne These des Buches: Die erwünschte Schulreform muss jeder selbst mit anzetteln. „Wenn der Einzelne der Schule keine Macht mehr gibt, hat sie keine mehr.“ Mit dieser Haltung seien schon ganz andere Systeme zu Fall gebracht worden – die DDR zum Beispiel. Hüther: „Wir alle überschätzen das, was in der Schule passiert, maßlos.“ Noten stellen sich später meist als nicht wichtig fürs Leben heraus. Auch Ikonen unserer Zeit wie Steve Jobs oder Bill Gates seien Schulversager gewesen. Zudem wisse zurzeit niemand, welche Kenntnisse und Fähigkeiten in Zukunft wichtig sein werden.

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Welche Arbeit übernehmen in Zukunft Maschinen?

Was künftig zählt. Sicher sei nur: Die lustlose, erzwungene Pflichterfüllung, wie sie Kindern in der Schule antrainiert werde, werde wohl als Erstes von der Digitalisierung gefressen. „Von Maschinen werden all jene Arbeiten übernommen werden, bei denen es nicht darauf ankommt, wer sie ausführt, sondern darauf, dass sie möglichst effizient, zuverlässig und vorschriftsmäßig umgesetzt werden.“ Daher sei heute noch nicht absehbar, welche Berufe es in Zukunft weiterhin geben werde – und welche von Robotern übernommen werden. Den Hintergrund für diese Umbrüche erklärt Hüther so: „Nicht weil das billiger ist, sondern weil diese Maschinen solche Routinearbeiten effizienter und zuverlässiger ausführen.“


Begeisterung, Eigeninitiative und Freude am Tun würden sich demnach als Schlüsselkompetenzen für die Zukunft erweisen. Außerdem werde jedes Kind Fähigkeiten brauchen in Selbstdisziplin, sein Leben zu organisieren, in Selbstreflexion, Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, darin, Verantwortung zu übernehmen, mit sich selbst und anderen klarzukommen, Sachverhalte zu bewerten. „Das wäre richtige Bildung statt bloßer Ausbildung.“ Im Gegensatz dazu sieht der Hirnforscher das derzeitige Schulsystem auf drei Bereiche erstarrt: „Schulen sind wunderbare Aufbewahrungseinrichtungen. Sie sind Ausbildungseinrichtungen auf ganz bestimmte berufliche Anforderungsbeispiele hin. Und sie übernehmen die Selektion.“

Leistungsdruck verringern

Schule zu verändern, ist also der Job des Einzelnen. Aber wie? Marcell Heinrich und Mitch Senf, die Co-Autoren des Buches, meinen: „Bereits heute lassen sich Schulbesuch und Erhaltung der Lernlust einigermaßen vereinbaren. Dazu ist es nötig, die mentale Macht des Leistungsdrucks zu verringern, indem wir Schulerfolg nicht mehr mit gelingendem Leben gleichsetzen.“ Das heißt: Prioritäten neu setzen, Umgebungen meiden, die auf Kosten des Selbstwertgefühls oder der Verbundenheit von Kindern gehen. „Die Qualität des Miteinanders und der Zeit, die sie in ihrer Schulzeit erleben, ist relevanter für ihre Zukunft als gute Prüfungsergebnisse.“ Jeder habe heute die Chance, zu einem späteren Zeitpunkt einen Bildungsweg einzuschlagen. Nichts ist in Stein gemeißelt.


Gerald Hüther rät allen Schülern, ihren Eltern und auch den Lehrern, sich endlich von herrschenden Schuldogmen zu lösen. „Das muss man aber klug machen. Wir sagen nicht: Schule ist falsch, sie soll sich ändern. Wir sagen: Sie soll ruhig so bleiben, wie sie ist. Aber sie hat unterm Strich keine Bedeutung für unser Leben.“ Nachsatz: „Merken Sie, wie subtil das ist?“