Mein Aufwachsen war eigentlich unspektakulär. Ich bin bürgerlich groß geworden, mein Vater war Architekt, meine Mutter Hausfrau. Wichtig ist, dass mein Vater sehnsuchtsvolle Träume gehabt hat: Er wollte unbedingt Schauspieler werden – das hat er aber nicht geschafft. Er hat die Aufnahmeprüfung nicht bestanden und ist dann Architekt geworden – was ja auch ein künstlerischer, ein schaffender Beruf ist. Der zweite wichtige Aspekt meinen Vater betreffend: Er hatte eine lebenslange Liebe zu Schiffen.

Das hat mich auch zu meinem dritten Buch verleitet, „Von Träumen und Schiffen“: Es ist eine Annäherung an meinen Vater, an die vielen nicht gesprochenen Worte. Denn auch wenn die Worte nicht ausgesprochen werden – die Gedanken sind ja trotzdem da, man hat sie nur nicht gesagt. Man muss sich nicht immer alles sagen, um sich zu verstehen.

Diese beiden nicht gelebten Träume meines Vaters haben mich geprägt. Meine Mutter hatte auch eine große Affinität zur Kunst, sie war auf dem Weg zu einer Tänzerinnen-Laufbahn, doch das haben der Krieg und die Ehe dann lahmgelegt. Sie wurde zwar eine begeisterte Gesellschaftstänzerin – aber nein, das Tanzen habe ich nicht von ihr! Auch meine Mutter hat auf ihre Art von der Bühne geträumt, doch auch diese Sehnsucht wurde nicht erfüllt.

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Das Leben war, wie es war – es kam ein Krieg dazwischen, Kinder, Brotberufe, der Wiederaufbau – da konnte man das alles nicht ausleben. Ich bin deutlich nach dem Krieg geboren, da waren diese Träume bereits verschüttet, durch das Elend des Krieges. Nach dem Krieg blieben meine Eltern als verstörte Menschen zurück. Ich habe die Träume in meinen Eltern erst wiederentdeckt und sie dann auch ausgelebt.

Aktuelles Buch im Amalthea Verlag
Aktuelles Buch im Amalthea Verlag © kk

"Das Wien meiner Kindheit war düster"

Als ich die künstlerische Laufbahn eingeschlagen habe, wollte mein Vater das überhaupt nicht – vielleicht wollte er auch nicht damit konfrontiert werden, was ihm selbst nicht gelungen ist. Meine Mutter hat das durchaus goutiert, auch gefördert, mein Vater hat es zu verhindern versucht. Aber ehrlich gesagt war mir das wurscht, ich habe es trotzdem gemacht.
Aufgewachsen bin ich im 15. Wiener Gemeindebezirk und auch auf dem Land, wo sich meine Eltern ein Häuschen geleistet haben – das war in der Gaadner Gegend, dort haben wir den Sommer verbracht.

Wien in den 1950er-Jahren war düster, staubig, überall an den Mauern ist es abgeblättert, die zerschossenen Kriegshäuser waren noch da – solche archaischen Bilder trage ich noch von meiner Kindheit in Wien in mir. Mein Zimmer ging hinaus auf die Kurve der Straßenbahn, ihr Kreischen höre ich heute noch. Unter uns war eine Fabrik für Skibindungen, die haben den ganzen Tag gestanzt. Neben uns war ein Kohlenhändler, wo die Kohlen über eine Rutsche hineingesaust sind. Das Wien meiner Kindheit war Kohlenstaub, das Knarzen der Straßenbahn, das Stanzen der Fabrik.
Ich habe eine Schwester, die acht Jahre älter ist, daher bin ich quasi als Einzelkind aufgewachsen – meine Schwester war schon draußen in der Welt.

Michael Schottenberg in "Geschichten aus dem Wiener Wald"
Michael Schottenberg in "Geschichten aus dem Wiener Wald" © APA

"Mein Fluchtpunkt wurde das Zaubern"

Mein Fluchtpunkt wurde das Zaubern: Ich habe mir das Zaubern antrainiert und mich in eine Welt geflüchtet, in der ich meine Schüchternheit überwinden konnte, auch meine Einsamkeit. Mit zwölf Jahren habe ich zu zaubern begonnen, ich bin immer aufgetreten, vor der Familie, auf den Partys meiner Eltern. Ich habe mir auch eine kleine Bühne gebaut. Mit 16 Jahren wurde ich der jüngste Zauberkünstler Österreichs: Im ersten Wiener Bezirk gab es ein Geschäft für Zauberartikel, dort war ich dann zu Hause, wurde angelernt von alten Zauberern. Ich wurde für Firmenfeiern gebucht und habe das neben der Schule gemacht.
Durch die Matura bin ich nur gekommen, weil ich mit dem Zaubern etwas konnte, das andere nicht konnten – das hat der Direktor erkannt und mich in Ruhe gelassen. Ich war unbeschulbar. Ich habe nichts gelernt, ich habe nur für das Zaubern gelebt. In der Schule war ich verheerend schlecht, habe meine Zauber-Gagen dafür verwendet, mir die Aufgaben schreiben zu lassen.

"Ich wollte nach Las Vegas"

Als Zauberer war ich wirklich nicht übel, mein Plan war es, nach Las Vegas zu gehen. Wenn ich noch ein paar Jahre trainiert und Nummern aufgebaut hätte, ich hätte das Zeug dazu gehabt. Aber dann habe ich doch noch die letzte Ausfahrt genommen, weil ich erkannt habe, dass der Beruf des Zauberers sehr einsam ist. Die Aussicht war, mir eine Nummer zu bauen, mit der ich die nächsten 20 Jahre leben und von einem Casino zum anderen ziehen werde. Da habe ich gedacht: Nein, das ist es doch nicht – und bin auf die Schauspielschule im Mozarteum gegangen, auch aus dem Bedürfnis heraus, mich auszutauschen, mich mit anderen und anderem zu konfrontieren. Was ich aber mitgenommen habe: die Selbstverständlichkeit, mich vor Publikum zu präsentieren, auf einer Bühne zu stehen.

"Ich war ein zerrissenes Kind"

Habe ich eine schöne Kindheit gehabt? Wenn ich Ja sage, ist es gelogen. Wenn ich Nein sage, ist es auch gelogen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Kindheit ist immer schön, aber auch schrecklich: Das Beginnen ist schön, aber den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, ist furchtbar. Ich war so ein zerrissenes Kind, einsam, aber doch kommunikativ. Kreativ, aber trotzdem habe ich in der Schule nichts auf die Reihe gebracht. Ich war ein unzufriedenes Kind, nie ganz glücklich, aber anspruchsvoll, und das ist auch kein Nachteil.

Michael Schottenberg im Alter von circa 5 Jahren
Michael Schottenberg im Alter von circa 5 Jahren © KK

Das Einzige, worauf ich wirklich stolz bin: Ich habe mir die Kraft bewahrt, immer wieder neu zu beginnen. Mein Leben hat so oft neu begonnen, mit neuem Mut und Inspiration – diese Kraft, die habe ich. Darauf bin ich stolz. Ich sage mir immer wieder: Das ist etwas, das du gar nicht kannst – mach es! Das ist die beste Voraussetzung – das, was man kann, ist langweilig. Wenn man etwas nicht kann und es trotzdem macht – da ist das Leben wirklich spannend.

"Und plötzlich steh' ich da im Glitzer-Anzug"

So war es auch mit dem Tanzen: Das war das Absurdeste überhaupt. Meine Freunde haben gesagt: Du kannst dich nur blamieren. Aber ich habe gewusst: Ich werde nicht versagen. Das hat mich angespornt. Ich habe die ganze Sache nicht so ernst genommen, aber mich daran gefreut, etwas Neues zu lernen – und plötzlich stehe ich in einem weißen Glitzer-Anzug da. Und: Ich habe nicht versagt, das war ein toller Sieg über mich selbst.