Ein Geist geistert durchs Internet. „Momo“ nennt sich die fratzenhafte Kunstfigur mit dunklen, langen Haaren, schwarz umrandeten Kulleraugen, blassweißer Haut und einem gruseligen Grinsen. Sie soll plötzlich in WhatsApp-Nachrichten und in Youtube-Filmen auftauchen und Kinder und Jugendliche nicht nur erschrecken, sondern auch zu Mutproben und Gewalt bis hin zu Selbstmordversuchen aufrufen. So die Geschichte.

Schockphänomene

Allein: Sie stimmt nicht. Sie stimmt so nicht. Ein viraler Mythos. Denn das Cybermonster gibt es nicht – abgesehen von Werken, die Trittbrettfahrer des kettenbriefartigen Schockphänomens fabriziert haben, um Klicks zu generieren und Schrecken zu initiieren.
Es ist eine der aktuellsten Formen, wie über das Internet und soziale Medien Angst verbreitet und Plattformen für Angriffe gegenüber leichtgläubigen beziehungsweise schutzlosen Opfern genutzt werden – Cybermobbing mit virtuellen Komplizen. Letztere braucht es aber gar nicht, um ein Smartphone zur Waffe und sein Display zum Tatort zu machen.

Besonders gefährlich wird es, wenn dabei Jugendliche ins Visier geraten. Das Potenzial für beide Rollen – Täter und Opfer – ist enorm: Jeder dritte Internetuser weltweit ist minderjährig. Es wird geklickt, gechattet, gefilmt und geteilt. Aber auch gestritten, geschimpft, gekämpft und gemobbt. Jeder achte 15-Jährige ist in Österreich laut WHO schon einmal mit Textbotschaften oder Bildern gemobbt worden.
Die Zahl möglicher Zeugen ist durch die Verbreitungsmöglichkeiten im Internet unendlich groß und wirkt dadurch bis in den analogen Alltag. Aber wie im realen Leben bleibt auch in der virtuellen Welt die Hilfe für die Opfer von Grenzüberschreitungen und Beleidigungen überschaubar.

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Lust an der Eskalation

„Es gleicht dem Verhalten bei einem Verkehrsunfall: Je mehr Zeugen herumstehen, desto größer ist die Chance, dass niemand hilft, weil man darauf vertraut, dass es andere tun“, sagt Thorsten Körber von der deutschen Initiative „Helden“, die sich der Aufklärung und Prävention von Gewalt und Hass im Netz verschrieben hat (siehe Info unten).
Dort erfahren Jugendliche auf spielerische Art, welche sozialen Mechanismen beim Cybermobbing wirken. Zum einen, dass Opfer selbst selten oder zu spät um Hilfe bitten, „weil sie nicht noch weiter ausgestoßen werden, sondern Teil der Gruppe bleiben wollen“ (Körber). Dazu kommt, dass die allgemeine Wahrnehmung, wann was für jemanden zur Belastung wird, in einer Gruppe lange verschleiert und unklar bleibt. Experimente haben gezeigt, dass sich die anfänglichen Zweifel schnell in eine Lust an der Eskalation bis hin zur Gewalt verwandeln können. Bis wer aufsteht und „Stopp!“ ruft, dauert es – meist zu lange. Es schwingt die Angst mit, durch Zivilcourage selbst zum Opfer zu werden.

Selbst zum Opfer werden

Gerade Burschen würden sich im Internet oft aus Spaß untereinander beschimpfen. „Wer hier den Kontext falsch versteht, blamiert sich schnell und läuft Gefahr, selbst zum Opfer zu werden“, so Christiane Atzmüller, Soziologin an der Uni Wien. Viele Jugendliche hätten zudem das Gefühl, durch ein Eingreifen die Opferrolle des Angegriffenen noch zu zementieren. Das Nichtstun unbeteiligter Dritter – sogenannter Bystander – mache sie aber zu Mittätern, so Experten. „Alles, was man außer Wegschauen macht, macht den Unterschied“, rät Körber daher.