Ich bin ein Stadtkind, aufgewachsen in Brigittenau. Damals war das ein typischer Arbeiterbezirk, das ist er immer noch, aber nun ethnisch viel bunter. Meine Eltern waren „sozusagen“ Migranten erster Generation, sie kamen aus Niederösterreich und aus dem Burgenland – es gab also Bauernverwandtschaft.

Ich habe also noch Schlachttage miterlebt und politisch waren sie eher christlich-sozial geprägt. Mein Vater war Bäcker, meine Mutter Verkäuferin. Meine Eltern haben der Ära Kreisky-Generation angehört, die sehr viel gearbeitet hat und sich mit dem mühsam ersparten Geld ein kleines Haus auf dem Land gebaut hat. Nach heutigen materiellen Standards waren wir arm. Ich und meine Geschwister, ein jüngerer Bruder und eine jüngere Schwester, wuchsen beengt auf, aber familiär.

Fleiß und Selbstdisziplin

Meine Eltern haben versucht, weniger autoritär zu uns zu sein, als ihre eigenen Eltern es waren, was ihnen nicht hundertprozentig geglückt ist. Werte wie Fleiß und Selbstdisziplin waren ihnen wichtig. Und Höflichkeit. Mein Vater hat Dialekt gesprochen, meine Mutter hat uns schönes Hochdeutsch beigebracht. Über den Beserlpark und den Augarten hat der Dialekt ganz schnell zu mir gefunden. Nach drei Tagen im Kindergarten habe ich den ärgsten Spruch gehabt, der verfügbar war. Das hat mir sehr gefallen und damit habe ich meine Mutter sehr unglücklich gemacht. Ich war davor eine Grätzelattraktion, weil ich schönes Fernsehdeutsch gesprochen habe. Und heute muss ich meine drei Kinder (25, 11, 5) fast ein bisschen stoßen, dass sie die heimatliche Mundart zumindest passiv beherrschen und nicht so reden wie im deutschen Privatfernsehen.

Dieses Video könnte Sie auch interessieren

Stammgast in der Leihbücherei


Manches, was in einer Hacklerfamilie traditionell wichtig war – etwa handwerkliches Geschick – wollte sich bei mir nicht einstellen. Dafür war ich schon sehr früh Stammgast in der Leihbücherei. Ich konnte gut zeichnen und habe gern gelesen. Und stur war ich auch – Reibungsflächen waren also vorhanden. Die Bücherei am Hannovermarkt war nicht sehr groß. Irgendwann hatte ich alle Kinderbücher ausgelesen. Ich war der Erste in unserer Familie, der freiwillig weiter in die Schule gehen wollte. Ich habe mich aber als nicht ganz schulkompatibel erwiesen, bin mehrfach durchgefallen und habe später eine Buchhändlerlehre gemacht.


Durchhaltevermögen – das haben mir meine Eltern mit auf den Weg gegeben. Das kann ich als Freiberufler auch gut brauchen. Sie haben mir eingetrichtert, dass man etwas, das man angefangen hat, auch fertig macht. Unser Verhältnis in der Pubertät war so, wie es sich für eine Pubertät gehört: sehr angespannt. Ich bin mit 17,5 Jahren von zu Hause ausgezogen. Durch die räumliche Distanz hat es sich schnell entspannt.
Meine Kindheit war, generell betrachtet, weniger behütet als heute. Die Mamas und Papas sind nicht überallhin mitgerannt. Ich bin bald alleine in die Volksschule gegangen, die nicht weit entfernt war. Am Nachmittag hat man die Hausübungen gemacht, nicht immer. Dann war man im Park: Fußball spielen und die eine oder andere Rauferei ist auch ausgetragen worden. Wenn ich heute Artikel über die verrohte Jugend in der Zeitung lese, kann ich nur lachen.

Eine Fächerkombination

Am Raufen ist man fast nicht vorbeigekommen. Ich möchte betonen, dass ich meistens nicht angefangen habe. Die drei Währungen, die man als Bub hatte: sehr gut kicken, sehr gut raufen oder sehr gut Schmäh führen können – idealerweise in einer Fächerkombination. Im Schmäh führen war ich schon gut, aber das hatte zur Folge, dass man in der Selbstverteidigung gut sein musste.
Mit der Schülerfreikarte bin ich oft in der Stadt spazieren gefahren. Ich hatte das für ein Kind merkwürdige Hobby, Sonntagvormittag gratis ins Museum zu gehen. Das Naturhistorische Museum hatte noch kein elektrisches Licht, da ist man alleine auf knarrendem Parkett durch die endlosen Gänge geschritten.