Bald Halbzeit im Ferienmarathon. Die einen haben Zeltlager, Sportwochen, Sommercamps oder Ferialjob schon hinter sich – die anderen müssen noch ewig scheinende Tage darauf warten. Und dazwischen?
Fällt die enge Stundenplan-, Aufgaben-, Lern- und Hobbykurs-Taktung eines Schuljahres einmal weg, sind Kinder und Jugendliche erst recht gefordert. Es gilt, die leer geräumten Stunden des Alltags mit Inhalt zu füllen. Nicht allen fällt das leicht. Und dann?
„Mir ist so langweilig!“, kapitulieren viele vor der ferialen Freizeitlawine. Und jetzt?
Das Diktat der Effizenz
Eltern sind jedenfalls – nicht nur in den Ferien – in Alarmbereitschaft. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt, weil sie glauben, für die inspirierende Beschäftigung und sogar intrinsische Bespaßung des Nachwuchses verantwortlich zu sein. Mütter und Väter werden damit jedoch Opfer ihres eigenen falschen Rollenverständnisses. Denn Eltern, mahnen Experten und Ratgeber, sind Eltern, keine Entertainer – und Kinder durchaus fähig, Phasen der Reizarmut ohne gröbere Schäden zu überleben. Mehr noch: Sie brauchen diese Auszeiten von externen Stimulationen, Leistungserwartungen und Effizienz-Diktat sogar, um ein Bewusstsein für ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Denn wenn Kinder und Jugendliche nichts mit sich anzufangen wissen, liegt das paradoxerweise daran, dass sie sich noch nicht genug gelangweilt haben. Sie haben noch keine Zeit gehabt, die eigene Langeweile bewusst zu erleben, sie zu überwinden und in weiterer Folge ihre eigenen Interessen zu entdecken und wahrzunehmen.
Die Alltagsanimateure
Schuld daran sind aber nicht sie, sondern ihre Eltern, die – getrieben von Schuldgefühlen –den Kindern angelernt haben, dass ein quengeliger „Laaaangweilig“-Ruf genügt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Entweder es folgen direkte Zuwendung durch Mutter oder/und Vater, um die „unangenehme Windstille der Seele“ (Friedrich Nietzsche über Langeweile) zu verblasen. Oder multimediale Unterhaltungsarmeen wie Smartphones oder Tablets werden im Kampf gegen die Ödnis in Stellung gebracht. Handy-, Computer- oder Fernsehbildschirme als Alltagsanimateure für den fadisierten Nachwuchs: Ein Fehler, ist beispielsweise der Hamburger Pädagogikprofessor Peter Struck überzeugt. Denn „Kinder brauchen Freiraum, um selbst Ideen zur Beschäftigung zu entwickeln“. Nicht nur Kinder.
Im Niemandsland
Auch Hirne von Erwachsenen würden Auszeiten und Erholung benötigen, um sich weiterentwickeln zu können. Wissenschaftliche Tests haben gezeigt, dass der Nachdenkapparat nach Phasen des Nicht-gefordert-Werdens leistungsfähiger ist als zuvor. Exkursionen ins zweck- und zielorientierte Niemandsland, bei denen sich die Zeit zur Ewigkeit dehnt und man die Gedanken spazieren gehen lässt, können zum Fitnessprogramm für die eigene Kreativität und Eigeninitiative werden. Familientherapeut Jesper Juul bezeichnet Langeweile gar als „Schlüssel zur Balance zwischen externen Reizen und eigener Kreativität“. Sie hilft, Selbstwert zu entwickeln, und macht unabhängig von äußerer Anerkennung.
Ein Zeitgeschenk
„Kinder, die sich gelegentlich langweilen, werden eine größere innere Ruhe spüren, die ihre soziale Kompetenz fördert“, spricht Juul von der bewusst durchlebten Langeweile als „emotionale Aufladestation“. Er rät Eltern sogar, sich gemeinsam mit ihren Kindern zu langweilen. Wenn der „Unterhaltungsmodus“ ausgeschaltet sei, könne über Gespräche, die nichts mit dem auf Nützlichkeit fokussierten Alltag zu tun haben, echte Nähe wachsen. Langeweile ist somit nicht wertlos und hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern ist ein Zeitgeschenk an sich selbst.
Klaus Höfler