Josef Zollneritsch leitet die Schulpsychologie beim Landesschulrat Steiermark und lehrt an der Pädagog. Hochschule und Universität Graz.

Das Thema Sicherheit beschäftigt uns zurzeit sehr. Viele Menschen haben in Österreich Angst vor gewalttätigen Übergriffen. Tatsächlich aber gehört Österreich zu den friedlichsten Ländern der Welt. Im „Global Peace Index“ liegt Österreich sogar auf Platz 4 der am wenigsten gewalttätigen Länder. Der Umgang mit Migration und daraus resultierender ethnischer Heterogenität muss eingeübt werden. Der Grundanspruch lautet: Schulen müssen sichere Orte sein. Gewalt und Ängste haben dort nichts verloren. Gewalt ist ein vielschichtiges Phänomen, das sich ganz unterschiedlich zeigt. Gewalt sind an österreichischen Schulen - auch im internationalen Vergleich - eher selten. Auch wenn immer wieder einmal anderes behauptet wird: Unsere Schulen sind diesbezüglich sehr sicher.

Vielmehr beschäftigt uns ein anderes Phänomen: Im Vergleich der OECD Länder liegt unser Land seit Jahren an der Spitze beim sogenannten „Schulmobbing“. Mobbing bedeutet, andere Menschen, in der Regel ständig bzw. wiederholt und regelmäßig, zu quälen und seelisch zu verletzen. Das Phänomen ereignet sich also über einen längeren Zeitraum und meist unbemerkt von der Erwachsenenebene. Oft trifft dies Schüler in Außenseiterpositionen. Viele, die davon wissen, unternehmen nichts, auch deshalb, da das Opfer dies ausdrücklich wünscht: dies aus Sorge, dann noch mehr geschädigt zu werden bzw. ohnehin keine Hilfe zu erhalten.

Probleme machen vor dem Schultor nicht halt

Unsere Schulen sind traditionell als eine Aneinanderreihung von Stunden konzipiert. Wenn die Stunden vorüber sind, verlassen alle das Schulhaus. Ganztägige (verschränkte) Schulen, wie sie international weithin üblich sind, bleiben bei uns immer noch eher die Ausnahme. Für soziale Begegnungen bleiben so nur die (zu kurzen) Pausen. Dann gibt es noch etwas Entscheidendes: Vergleicht man Österreich mit den OECD-Staaten hinsichtlich pädagogisch-unterstützenden Personals, so sind wir absolutes Schlusslicht im Verhältnis Lehrkräfte zu Unterstützungskräften. Ganz krass ist das Verhältnis von Schulpsychologen zu Schülern: 1 zu 7000. Schüler in Österreich sind viel zu sehr sich selbst überlassen, was die Bewältigung ihrer Probleme betrifft. Probleme machen vor dem Schultor nicht halt.

Schüler müssen wissen, wer bei Problemen anzusprechen ist. Aus der Erfahrung wissen wir, dass es Personen vor Ort geben muss, die in der Lage sind, soziale Schwierigkeiten zu ordnen. Gewaltfreiheit ist eine schulklimatische Bedingtheit. Das Gebäude insgesamt muss Annahme und eine gewisse Wärme signalisieren. Der Raum ist der „dritte Pädagoge“: Der erste Eindruck beim Betreten ist wichtig. Gibt es dort z. B. Hinweise auf handelnde Personen bzw. Wegweiser? Die räumliche Gestaltung sollte möglichst wenig Zerstörungen aufweisen. Gibt es Zeitgefäße, in denen das soziale Miteinander eingeübt und wenn nötig verbessert werden kann? Werden „Peers“ eingesetzt z. B. für Streitschlichtung?

Den inneren Kern jedes Unterstützungsteams bilden Schülerberater, Beratungslehrer, Schulsozialarbeiter, Schulärzte und Schulpsychologen. Diese Personen arbeiten gut abgestimmt; ihre Erreichbarkeit wird bestmöglich kommuniziert, unter anderem auf der Startseite der Schul-Homepage. Auch in der Prävention von Gewaltphänomenen ist viel machbar. „Klassenmanagement“ meint, die Kohäsion im Klassenverband zu stärken mit dem Ziel, Konkurrenz und Konflikte zu minimieren.

In Klassen mit Migrationshintergrund muss der Gewaltbegriff geklärt werden: Was ist akzeptabel und was nicht? Lernen gelingt nur, wenn es den Beteiligten gut geht. Angst vor Gewalt blockiert die Lernbereitschaft. Präsenz, Gesprächsbereitschaft und Handlungskompetenz innerhalb geklärter Strukturen bilden die Grundlage, um dem Ziel einer absolut gewaltfreien Schule nahezukommen. Zu guter Letzt: Gewalt- bzw. angstfreie Schulen erbringen nachweislich bessere Lernergebnisse!