DER FALL. Meine Freundin will ständig reden, und jedes Problem will sie von mir gelöst haben. Ich komme mir schon vor wie ihr Vater, und nicht ihr Freund! Ich halte das nicht mehr aus. Wir haben auch kaum mehr Sex. (Manuel R.)

DIE ANTWORT. Lieber Manuel, dass Sie ihr Liebster sein möchten und nicht ihre Vaterfigur, können wir verstehen. Daraus erklärt sich auch, dass Sie kaum Sexualität haben, denn diese erfordert unter anderem Augenhöhe und Nähe. Nehmen Sie Ihre Wahrnehmung der „Bedürftigkeit“ Ihrer Freundin einmal genauer unter die Lupe. Unsere Erfahrung ist, dass Bedürftigkeit keine weibliche Domäne ist. Männer und Frauen haben gleichermaßen Bedürfnisse und Wünsche. Tauschen Sie sich aus, was Sie sich wünschen, und halten Sie das in einer Liste fest. Sehen Sie genau hin: Es ist ein Unterschied zwischen Wunsch und Bedürftigkeit.

Werfen Sie dann einen Blick zurück zu Ihrem Elternhaus. Eltern sind das erste Paar, von dem Sie bestimmte Bilder und Erfahrungen mitgenommen haben. Wir hatten einmal einen jungen Mann in unserer Praxis, der ohne Vater aufwuchs. Er wurde zum „Mann im Haus“, zum Problemlöser für die Mutter. Das ist eine Überforderung, die Spuren hinterlässt. Später, in seinen Liebesbeziehungen, hat er jeden Wunsch seiner Partnerin als Hilfsbedürftigkeit interpretiert, das hat seinen wunden Punkt berührt. Erst als die beiden die Hintergründe verstehen konnten, hat sich die Schieflage aufgelöst. Wir finden die 90-10-Formel hilfreich: 90 Prozent dieser Reaktion lassen sich auf die eigene Geschichte zurückführen, nur 10 Prozent haben mit der aktuellen Situation zu tun. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg, die 90 Prozent Ihrer Geschichte zu entdecken!

Sabine und Roland Bösel
Sabine und Roland Bösel © Christian MUELLER