Sie legen mit Ihrem neuen Buch eine Anleitung für Familien vor, mit der die Verteilung von Aufgaben in der Familie besser gelingen soll. Auf den ersten Blick ist es ein Buch voller Listen und Pläne. Noch ein Stück Privatleben, das zur Arbeit wird? Ist das wirklich nötig?

EVA KESSLER: Wenn ich in der Vergangenheit Familien beraten habe, die Probleme mit ihren Kindern hatten, stellte sich oft heraus, dass das etwas mit dem Umgang der Partner miteinander zu tun hatte und damit, wie der Alltag organisiert wird. Die Kinder reagieren nur darauf. Wenn Familien zu mir kommen, haben sie - meistens sind es die Frauen - einen großen Zettel voller Fragen. Wenn ich dann frage, was der Auftrag an den Mann ist, sagt dieser meist: „Och, ich bin nur mitgekommen.“ Die werden von ihren Frauen tatsächlich nur in die Sitzung mitgenommen. Am Ende meiner Beratung sind aber sie es, die plötzlich 1000 Fragen stellen. Zum Schluss sagen sie dann: „Toll, ich komme jetzt endlich von meinen Schuldgefühlen los.“

Was ist das Grundproblem?

EVA KESSLER: Dass Frauen noch immer ihre alte Frauen- und Mutterrolle ausfüllen, dabei aber berufstätig sind. Die Männer kommen dann in die Rolle, dass sie nicht genügen, zu wenig für die Kinder und die Familie tun. Das erzeugt viel Spannung. Wenn beide Partner ein Profil bekommen und klar ist, was jeder zu tun hat, dann fällt dieses ganze Vorwurfsdenken weg. Das entspannt die Partnerschaft, was wiederum im Umgang mit den Kindern entspannt und Raum für Familienleben schafft.

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Eva Kessler
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Halbe-halbe scheitert also nicht am Wollen von Mann und Frau, sondern daran, dass Paare einfach nicht wissen, wie sie es angehen sollen?

EVA KESSLER: Genau. Mir fiel auf, dass bei Beratungen in die zweite Sitzung meistens die Männer kommen, um noch ein paar Fragen zu stellen - weil die Aufgaben nun anders aufgeteilt worden sind, ein Teil schon gut läuft, anderes aber weniger. Dann sind es oft die Frauen, die nicht loslassen können und sagen, der Mann müsse etwas genau so oder so machen und nicht auf seine Weise.

Männer blockieren den Neustart also nicht?

EVA KESSLER: Nein, im Gegenteil. Weil sie merken, dass es die Beziehung entlastet, eine bessere Stimmung macht und die Schuldgefühle nimmt. Sie übernehmen Aufgaben, machen sie aber eigenverantwortlich, nicht so, als würden sie der Frau zur Hand gehen. Mit so einem System können Männer gut umgehen. Und Kinder wachsen mit dieser Vorbildleistung auch ganz anders heran.

Wie könnte das im Alltag wirklich aussehen?

EVA KESSLER: Nehmen wir etwa einen 13-jährigen Sohn, der im Familienrat das Ein- und Ausräumen des Geschirrspülers übernimmt. Er stellt dabei aber eine Bedingung: dass er die Küchenschränke neu einräumen kann und bestimmen darf, wo die Gläser und Teller hinkommen. Die Mutter zögert erst, dann erlauben es ihm die Eltern aber, weil sie auch neugierig sind. Zuerst ist es ein Umgewöhnungseffekt, der Sohn ist dann aber wahnsinnig stolz darauf und macht den Job verlässlich. Eines Tages hört er, wie sein Vater einem Freund erzählt: „Du, mein Sohn macht das in der Küche ganz eigenverantwortlich, darum muss ich mich nicht kümmern. Es läuft supergut.“ Der Sohn bekommt das mit und ist stolz, weil er seine Arbeit kreativ erledigt.

Weg also von der eigenen Vorstellung, wie ein Job genau zu erledigen ist?

EVA KESSLER: Richtig. Neu an diesem Konzept ist, dass ich den Kindern nicht sage, was sie zu tun haben, sondern ihnen für ihre Aufgaben Privilegien einräume. Wenn der Vater das Zuhause schon so umsetzt, kann das Kind mit 10 oder 11 Jahren dem nacheifern. Mein ganzes Anliegen ist mehr ein pädagogisches als ein organisatorisches, auch wenn es in meinem Buch auf den ersten Blick anders wirkt. Es geht nur darum, dass es in unserer Gesellschaft überfällig ist, dass Menschen in ihrem Zusammenleben neue Formen finden und nicht an alten Erziehungsmethoden festkleben - und dass Kinder trotz der Berufstätigkeit beider Eltern und der Belastung, die die Eltern dadurch haben, in einem entspannten Spielraum groß werden. Das Handwerkszeug dazu ist das Organisatorische.

Sie plädieren bei der Arbeitsaufteilung zwischen berufstätigigen Partnern dafür, Erwerbsarbeit penibel mit Hausarbeit und Kinderbetreuung gleichzusetzen und aufzurechnen und für die Kinder einen jeweiligen Tages- und Wochenchef festzulegen. Kinder akzeptieren das?

EVA KESSLER: Das Modell ist meiner Erfahrung nach sowohl Vätern als auch Kindern sehr willkommen. Kinder lieben es, wenn sie auf einem Wochenplan sehen, wer wann daheim der Chef ist - auch wenn sie noch sehr klein sind. Weil es dann ganz klar und eindeutig eine Person gibt, die für etwas zuständig ist, und eine Person, die nicht zuständig ist. Vorher gab es womöglich immer viel Streit darüber, ob etwas nun so laufen soll oder anders. Und Kinder versuchten, Mutter und Vater gegeneinander auszuspielen. Mit dem Chefmodell geht das nicht mehr. Für die Eltern ist das eine enorme Entlastung, weil sie abwechselnd Tage haben, in denen sie sich erholen können und frei haben. Schließlich braucht jeder Ruhephasen, in denen er nur für sich sein kann. Ob er dann Sport betreibt oder auf dem Bett ein Buch liest, ist egal: Man muss einfach nur berechtigt und ohne Vorwürfe für sich sein können.

Kinder haben auf diese Weise mehr von beiden Eltern?

EVA KESSLER: Auf jeden Fall. Wenn das alte Rollenmodell gelebt wird und beide Elternteile berufstätig sind, ist es für Kinder schwer, noch Eltern zu haben, die verlässlich da sind und sich um sie kümmern. Dann muss einfach immer alles funktionieren, ständig heißt es „schnell, schnell“ und alle sind genervt. Für die Identitätsbildung von Kindern ist es aber wichtig, dass es Phasen der Ruhe gibt, in denen ein Erwachsener Zeit und Lust hat, dem Kind richtig zu begegnen.

Das Aha-Erlebnis der Väter ist dabei welches?

EVA KESSLER: Sie merken, dass sie in der Familie ein völlig neues Profil bekommen und daheim genauso ernst genommen sind wie am Arbeitsplatz und niemand mehr mit Vorwürfen kommt, wenn sie einmal einen Tag nicht da sind, weil ja jeder berechtigt seine Freizeit hat - und eine bestimmte Zeit, in denen er Aufgaben erfüllt.