Was hat die Kindheit mit politischen Überzeugungen zu tun? Der deutsche Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster beschreibt in seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“, dass die Art, wie Kinder erzogen werden und ob sie emotionale Sicherheit erfahren haben, einen erheblichen Einfluss auf ihre spätere politische Gesinnung haben kann.
Der aktuelle Rechtsruck in westlichen Gesellschaften ist demnach nicht allein durch ökonomische und kulturelle Veränderungen zu erklären, sondern hat seine Wurzeln auch in den Kinderzimmern. Wenn emotionale Grundbedürfnisse wie Sicherheit und Zugehörigkeit in der Kindheit nicht ausreichend erfüllt wurden, suchen Erwachsene oft nach äußeren Autoritäten, um diese innere Leere zu füllen. Denn Kinder, die keine stabile emotionale Bindung aufbauen konnten, erleben oft ein Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit. Ein sicheres Fundament bilden Anerkennung, Zugehörigkeit und Sicherheit. Alte Erziehungspraktiken, wie das „Schreien lassen“ oder eine strikte, rigide Erziehung, bei der Kinder sich bedingungslos unterordnen müssen, führen dazu, dass sie sich als ohnmächtig und unsicher erfahren.
Teil einer Gemeinschaft
Dieses Bedürfnis nach Sicherheit wird später durch die Zugehörigkeit zu autoritären Ideologien oder Gruppen kompensiert, die klare Feindbilder und einfache Antworten liefern. Parteien mit populistischen Tendenzen bieten genau dies: Sie vermitteln das Gefühl, Kontrolle zurückzugewinnen und Teil einer Gemeinschaft zu sein. Dabei ist es nicht entscheidend, ob versprochene Lösungen realistisch sind, wichtiger ist das emotionale Angebot: „Ich gehöre dazu, bin stark.“
Die Entstehung autoritärer Gesinnungen ist komplex und wird durch viele Faktoren beeinflusst. Doch die Erfahrungen in der Kindheit spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung politischer Überzeugungen. Schon Autoritarismusforscher Detlef Oesterreich beschrieb diesen Mechanismus: Menschen, die in ihrer Kindheit keine innere Stärke entwickeln konnten, suchen auch als Erwachsene nach äußerer Sicherheit durch starke Autoritäten.
Solange es diesen Erwachsenen gut geht, das Leben leicht fällt, kommt diese Ausprägung kaum zum Tragen. Werden aber ihre äußeren Strukturen infrage gestellt, sei es durch kulturellen Wandel, die Emanzipation von Minderheiten oder die Globalisierung, fühlen sie sich bedroht. Die eigene Identität und soziale Dominanz erscheinen gefährdet, was Angst und Abwehrreaktionen hervorruft.
Erziehungsstile beeinflussen, wie offen oder autoritär Gesellschaften auf Veränderungen reagieren. Ein Beispiel ist die DDR, in der eine autoritäre Erziehung vorherrschte, man die Kinder von klein auf in hierarchische Strukturen einordnete. Sie waren von jüngstem Alter an in Betreuungseinrichtungen, wo ihre Bedürfnisse zu kurz kamen. Dies kann den heutigen Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Ostdeutschland zum Teil erklären. Ähnlich verhält es sich in den USA: Vergleiche von Studien und Wahlergebnissen zeigen, dass in jenen 22 US-Staaten, in denen vorrangig rigide Erziehungsmethoden bis hin zu körperlicher Züchtigung praktiziert werden, Donald Trump bei den vorangegangenen Wahlen und wohl auch jetzt gewann.
Alte Erziehungsmuster
Rechtspopulistische Parteien setzen auf Themen wie Ausgrenzung und Gewalt, um scheinbar Probleme zu lösen. Anstatt den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, propagieren sie einfache Lösungen: Mauern bauen, Grenzen schließen, Minderheiten ausgrenzen. Diese „Werkzeuge“ basieren auf alten Mustern der Strafe und Kontrolle und spiegeln ein Weltbild wider, das auf Angst und Misstrauen beruht. Menschen, die in der Kindheit ein feindliches oder unsicheres Bild der Welt vermittelt bekommen haben, neigen dazu, solche politischen Angebote anzunehmen.
Zwar spielen auch äußere Faktoren wie ökonomische Unsicherheit, Angst vor sozialem Abstieg oder die Fremdheit in der digitalen Welt eine Rolle bei der Entstehung autoritärer Einstellungen, doch Renz-Polster ist überzeugt, dass diese Faktoren allein nicht ausreichen. Es bedarf einer inneren Bereitschaft, die auf Erfahrungen in der frühen Kindheit zurückgeht. Menschen, die emotionale Sicherheit und Anerkennung erfahren haben, sind besser gerüstet, den Herausforderungen der Moderne mit Offenheit und Widerstandskraft zu begegnen.
Bedürfnisorientierte Erziehung
Das Positive: Bedürfnisorientierte Erziehung gewinnt immer mehr an Bedeutung, was Kindern hilft, eine stabile emotionale Grundlage zu entwickeln. Renz-Polster betont, dass es nie zu spät sei, alte Muster zu durchbrechen und neue, positive Erfahrungen zu machen, die frühere Verletzungen heilen können. Aber: „Wer sich von Anfang an als wertvoll und geliebt erfährt, ist widerstandsfähiger gegenüber der Verunsicherung, die der kulturelle Wandel oder die Andersartigkeit anderer mit sich bringt.“ Bemühen sich Eltern um eine starke Beziehung zu ihren Kindern, schaffen sie eine Grundlage, die auch später im Leben trägt.