Manche fragen sich, wie sie eigentlich ohne größere Blessuren erwachsen werden konnten, wenn man die doch recht freie Jugend der Generation X mit der Behütetheit der heutigen Kinder vergleicht. Viele haben heute offenbar das Gefühl, dass die Welt ein unsicherer Ort geworden ist. Helikoptern, das Überbehüten von Kindern, ist daher ein großes Thema. Wie findet man also die Balance, seine Kinder bestmöglich zu schützen und zugleich Risiken zuzulassen, die sie für ihre Entwicklung brauchen?

Risikopädagogin Eva Maria Deutsch berät Eltern und Pädagoginnen zu diesem Thema: „Unsere Kinder suchen zum Glück von Natur aus spannende und manchmal grenzwertige Herausforderungen in ihrer Umgebung. Denn nur, wenn sie etwas selbst erfahren und bewältigt haben, lernen sie und entwickeln sich zu selbstständigen Erwachsenen. Daher ist es wichtig, dass wir unseren Kindern den notwendigen Freiraum für diese Erfahrungen lassen, auch wenn das bedeutet, dass sie gewissen Risiken ausgesetzt sind.“

Eigene Unsicherheiten der Eltern

Kein Kind hat das Gehen gelernt, ohne die Erfahrung des Stürzens. Eltern sollten lernen, mit ihren eigenen Unsicherheiten umzugehen, anstatt dem Kind durch übermäßige Vorsicht wichtige Lernmöglichkeiten zu nehmen. Laut Deutsch kann man sich dabei fragen: „Wie viel Nutzen hat dieses Risiko? Was würde mein Kind versäumen, wenn ich es nicht lasse? Was kann es daraus lernen?“

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Risikokompetenz ist die Fähigkeit, Gefahren zu erkennen und zu bewältigen, um dadurch mehr Sicherheit zu gewinnen. Sie spielt sich zwischen Scheitern und Gelingen ab und meint auch, einmal etwas nicht zu machen. Doch wie fördert man diese Kompetenz? Deutsch: „Die Natur ist der beste Lehrmeister. Das Spielen mit Naturmaterialien wie Holz und Steinen bietet reichhaltigere Lernerfahrungen als Plastikspielzeug. Draußen in der Natur zu spielen, ist realistischer und oft risikoreicher, was den Lerneffekt verstärkt. Kinder lernen, mit der Umgebung umzugehen und ihre motorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Die Möglichkeit, sich leicht zu verletzen, gehört dazu und fördert das Bewusstsein für Risiken.“

Helikoptern führt zur ängstlichen Erwachsenen

Studien zeigen aber, dass Kinder heutzutage weniger als eine Stunde pro Tag im Freien verbringen, was negative Auswirkungen auf ihre körperliche und psychische Gesundheit haben kann. Denn der Aufenthalt in der Natur wirkt auch als Puffer gegen belastende Ereignisse und fördert das Selbstvertrauen.

Helikoptern hingegen führt zu ängstlichen Erwachsenen, die Gefahren schlecht einschätzen können. Kinder sollten stattdessen ermutigt werden, Risiken einzugehen und selbstständige Entscheidungen zu treffen. Das Vertrauen der Eltern ist dabei essenziell. Kinder, die stückweise an das Ungewisse herangeführt werden, entwickeln Selbstkompetenz und Unabhängigkeit.

Zur Person | Eva Maria Deutsch ist Psychologin, systemischer Coach, Rausch- und Risikopädagogin und Gesundheitsförderin bei Styria vitalis  
Zur Person
| Eva Maria Deutsch ist Psychologin, systemischer Coach, Rausch- und Risikopädagogin und Gesundheitsförderin bei Styria vitalis   © Styria vitalis

Eine gute Bindung zu den Eltern, die als sicherer emotionaler Hafen dienen, ist dabei die Voraussetzung, detto eine gute Begleitung. Nicht vorweg Probleme aus dem Weg räumen, sondern erst dann helfen, wenn das Kind wirklich Hilfe braucht. Aber dann wirklich da sein und Frustration, Wut oder Angst begleiten. Dafür braucht es jedenfalls Zeit, die häufig knapp bemessen ist. Wichtig ist es, dass Kinder lernen, ihre Gefühle zu reflektieren, um später auf ihr Bauchgefühl hören zu können, das bei der Risikoeinschätzung eine große Rolle spielt.

Neben den physischen Fähigkeiten ist auch soziale Sicherheit wichtig. Kinder sollten wissen, wer ihre Freunde sind und wer ihnen in schwierigen Situationen beisteht. „Dafür ist es wichtig, dass Kinder durch viele Begegnungen Erfahrungen sammeln, lernen, wie wir als Gemeinschaft funktionieren, wem sie vertrauen können und Menschenkenntnis bekommen“, sagt Risikopädagogin Deutsch. Eltern können mit ihren Kindern auch mögliche Szenarien durchsprechen, wie das Verhalten beim Verfahren mit der Straßenbahn oder wenn einen plötzlich niemand abholen kommt. So entwickelt das Kind Lösungskompetenzen.

Erziehung in der Pubertät

In der Pubertät müssen Eltern loslassen und ihre Kinder Dinge ausprobieren lassen, selbst wenn sie sich dabei unwohl fühlen. Die schon früh erlernte Risikokompetenz wird auch in der Pubertät helfen, Gefahren zu erkennen. Wo muss man sich schützen und was ist ein Risiko, das es lohnt einzugehen? Das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen helfen dabei. Auch, um sich vom Gruppendruck nicht zu unvernünftigen Aktionen hinreißen zu lassen. Gute Vorbereitung auf mögliche Risiken ist dann alles, in der Situation selbst muss man dem Kind vertrauen.

Eltern sollten also die Balance zwischen Unter- und Überfordern finden. Es geht darum, Kinder zu ermutigen und ihnen Herausforderungen zu bieten. Insgesamt ist es wichtig, dass Kinder sowohl Schutz als auch die Freiheit haben, Risiken einzugehen. Nur so können sie die notwendigen Kompetenzen entwickeln, um in einer unsicheren Welt sicher und selbstbewusst zu bestehen.