148.000 Wörter stehen alleine im Duden. Dennoch fällt es oft schwer über gewisse Themen zu reden. Gefühle zum Beispiel. Speziell Männer stellt dieses Thema vor Herausforderungen. Das beobachten auch Benjamin Wagner und Matthias Tschannett. Die beiden Psychotherapeuten haben das Projekt "Mannsbuilder" initiiert; eine Initiative, die die verschiedenen Facetten des Mann-Seins und Männlichkeiten beleuchtet. Aber wo liegt die Hemmschwelle, wenn es darum geht, über Gefühle zu sprechen? Und wie kann man diesem bedenklichen Muster entgegenwirken?
Zum Einen wären da die typischen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die täglich reproduziert werden, meint Wagner: "Ein Beispiel: Rosa ist weiblich, blau männlich. Das Ganze zieht sich jedoch durch sämtliche Lebensbereiche." So sei es in vielen Hetero-Familien nach wie vor der Fall, dass die Mutter etwa fürs Kochen zuständig ist und der Vater wiederum die Autoreifen wechselt oder den Müll hinausbringt. Was das mit Gefühlen zu tun hat? "Dies hat zur Auswirkung, dass sogar Emotionen männlich beziehungsweise weiblich konnotiert sind", erklärt Wagner. "Wut gilt als eher männliche Emotion und steht etwa für Durchsetzungskraft, während sanfte und ,schwache' Gefühle als eher weiblich konnotiert betrachtet werden."
Angelernte Muster
Schon bei der Erziehung werden demnach gewisse Muster angelernt. Etwa mit Sprüchen wie "Burschen weinen nicht". Das Hauptproblem bei solchen Aussagen bestehe darin, dass Erwachsene oft keine Erklärung liefern, welche anderen Wege es gibt, um Gefühlen Raum zu geben, sagt Wagner: "Wenn einem Burschen gesagt wird, er solle seinen emotionalen Instinkt unterdrücken, bedeutet das im Grunde genommen, dass jegliche Formen emotionalen Ausdrucks vermieden werden sollten, um als männlich wahrgenommen zu werden."
Die eingangs erwähnten 148.000 Wörter zu nutzen und Gefühle zu verbalisieren - das ist eines der Ziele des Seminars, das das Projekt "Mannsbuilder" demnächst anbietet. Unter dem Motto "O Mann, Gefühle!" will die Plattform Männern die Möglichkeit bieten, sich über ihre Emotionen auszutauschen (siehe Factbox).
Warum es sich auszahlt
Denn über Gefühle zu reden, hat durchaus Vorteile. Zum einen verstehen wir dadurch unsere eigenen Gefühle besser, so Wagner: "Auf der Ebene der Beziehung zu unseren Mitmenschen kann durch das Sprechen über unsere Gefühle Empathie und Verständnis entstehen." Er verweist auf den Psychologen Klaus Grawe, wonach Bindung eines der menschlichen Grundbedürfnisse ist.
"Darüber hinaus könnte man das Sprechen über Gefühle auch als eine Stressbewältigungsmethode verstehen", sagt Wagner. "So abgedroschen es klingen mag, aber: Geteiltes Leid ist halbes Leid."
Umgekehrt stellt sich die Frage, was denn passiert, wenn Gefühle einfach unterdrückt werden. Wagner: "Das Ignorieren von Gefühlen kann zu psychischen Belastungen, wie sozialer Isolation und Einsamkeit führen. Die männliche Maxime ,Ich mach mir das mit mir selbst aus!' führt mitunter dazu, dass 75 Prozent aller Suizide von Männern begangen werden, da sie keine bzw. zu späte (professionelle) Hilfe in Anspruch nehmen."
Claudia Mann