Im Film „Mein Vater, der Fürst“, fragt Tochter Lila ihren Vater, worum es im Leben geht: Karl Schwarzenberg antwortet, man sei nicht auf der Welt, um glücklich zu werden. Ist das eine Generationenfrage?
ARIADNE von SCHIRACH:
Eher Typfrage (lacht). Ich denke, wir sind auf der Welt, um zu leben. Wenn wir uns dabei eher vom Staunen leiten lassen, als von Eitelkeit, Neid und Gier können wir dieser Aufgabe besser gerecht werden. Aristoteles sagt, dass jeder, der glücklich sein will, sich bemühen sollte, ein guter Mensch zu werden. Das Gold in unserem Herzen lockt das Glück an, während alles Gold der Welt nicht wirklich glücklich macht.

Für Aristoteles war die Glückseligkeit das höchste Ziel des menschlichen Lebens, für Immanuel Kant war es die Pflicht. Wer hat recht?
Ich glaube, von beiden lässt sich Unterschiedliches lernen. Von Kant stammt der Satz ,Wolle, was du musst’, der hat mir schon oft geholfen. Erwachsen werden heißt auch, verbindlich sein zu können, belastbar, verlässlich. Vor allem, wenn man Kinder hat. Aristoteles verdanken wir die Idee, dass sich die uns mögliche Glückseligkeit einer Resonanz zwischen unserem innersten Ausdruck und unserer konkreten Tätigkeit in der Welt verdankt. Dass es also etwas gibt, was wir von Herzen wollen, und wofür wir zugleich vom Leben gewollt werden. Bücher wie „Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky greifen diesen „Zweck der Existenz“ auf, ebenso wie die „Purpose“-Bewegung. Als jemand, der das Glück hat, tun zu dürfen, was man liebt, muss ich allerdings hinzufügen: Ohne Disziplin bleibt auch die schönste Manuskriptidee nur eine folgenlose Phantasie.

In Ihrem Buch „Glücksversuche“ schreiben Sie, dass Glück damit beginnt, erst einmal gut mit sich selbst umzugehen. Wieso fällt das schwer?
Wir wissen doch alle, was wir tun sollten: gute Ernährung, tiefe Beziehungen, sinnvolle Betätigung. Aber wir tun es nicht, auch ich nicht. Das ist das ganze Problem. Beim Glück geht es also nicht unbedingt um Tipps, sondern eher um eine Praxis von Selbstannahme und Selbsterziehung.

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Ist es vermessen nach Glück zu streben in Zeiten von Krisen und Kriegen?
Wir Menschen sind alle eine Familie, und wenn wir einander töten, ist die Dunkelheit ganz nah. Doch gerade dann gilt es, am Licht festzuhalten, an uns und an dem, wofür es sich zu leben lohnt: für Liebe und Verbindlichkeit, für Demokratie und Menschenrechte, für den Frühling, für die Kinder und die unverlierbare Freude an allem, was ist.

Von Karl Valentin gibt es den schönen Satz: „Es ginge - es geht nicht“: Ist das Streben nach Glück nicht von vornherein ein glückloses Unterfangen?
In so einer Stimmung könnte man auch sagen, das Leben lohnt sich nicht, weil wir ja eh sterben müssen. Interessanterweise ist das gar kein so schlechter Gedanke. Wir neigen dazu, uns viel zu ernst zu nehmen. Der freie Mensch ist stets bereit, sich für sein Glück zum Narren zu machen – Liebe gestehen, Reise antreten, Job wechseln. Wir müssen uns wirklich nicht aufsparen.

Beschreiben Sie bitte eine Glücks-Strategie.
Da wir Menschen evolutionsbedingt dazu neigen, mehr auf das Schlechte als auf das Gute zu achten – man denke an die Nachrichten – ist Dankbarkeit die wichtigste Glücksstrategie. Auf das zu blicken, was man hat, anstatt auf das, was fehlt, macht die Welt zu einem gütigeren, einem bewohnbaren Ort.

Wir Menschen formen die Gesellschaft, aber die Gesellschaft formt auch uns: Was also tun?
Die Ökonomisierung des Lebens bedroht nicht nur die planetare Ökonomie, sondern beschmutzt auch unsere eigenen Seelen. Und obwohl wir da alle individuell Widerstand leisten müssen - und können! – kommen wir nicht drum herum, auf Systemebene Korrekturen vorzunehmen. Wir brauchen neue Gesetze, getragen von einem neuen Menschenbild, das den Sinn des Lebens nicht mehr in Konkurrenz, Konsum und Profitsteigerung, sondern in Kooperation, Entfaltung und Lebensfreude sieht.

Was ist das Gegengewicht zu unserem ökonomisierten Zeitalter?
Wir haben vergessen, dass der Mensch innen größer ist als außen. Unser Reichtum ist innerlich. Alles, was uns glücklich macht, kostet kein Geld: Beziehungen, Naturerfahrungen, inneres Wachstum. Aber es kostet Zeit, und die muss man vor lauter Geldverdienen-Müssen bzw. -wollen erst einmal aufbringen.


Fragt man Eltern, was sie sich für ihr Kind wünschen, kommt meist: „Glück.“ Warum streben wir „Großen“ dann so häufig vor allem nach Macht und Reichtum?
Schon Kant hat gesagt, dass unserem Erwachsenwerden immer wieder Feigheit, Faulheit und Bequemlichkeit entgegenstehen. Es ist anstrengend, mit seiner Seele zu sprechen, an sich und seinen Beziehungen zu arbeiten, nach dem Guten zu streben. Ich gehe auch lieber fünfmal einen Vortrag durch, als mir einzugestehen, dass ich schon wieder neidisch, gierig und nachtragend gewesen bin. Soll heißen: Die Arbeit in der Welt ist oft einfach zu ertragen als die Arbeit an der Seele, und die äußeren Reichtümer sind leichter zu erlangen als die inneren Schätze.

Ihr Großvater war Baldur von Schirach, Nationalsozialist und verurteilter Kriegsverbrecher: Wie sind Sie mit diesem Rucksack umgegangen?
Ich denke, dass der Sinn des Lebens auch darin besteht, den Platz, auf den man bei seiner Geburt gestellt wurde, etwas aufgeräumter zu hinterlassen. Es hat mich deshalb eher befreit als belastet, dieses dunkle Erbe wirklich anzunehmen. Vor allem, weil mir aufgefallen ist, dass immer noch hauptsächlich die Opfer sprechen. Es ist die Verantwortung von uns Täterfamilien, ihnen ein Gegenüber zu sein, zuzuhören und gemeinsam zu trauern. Diese Trauer, zu der mein Großvater Baldur noch nicht fähig war, macht meinen Rucksack jedes Mal ein bisschen leichter – aber tragen werde ich ihn weiter, bis zum Tod.

„Das Leben ist kurz“, sagt Seneca: Ihre Schlussfolgerung daraus?
Das Leben ist eine persönliche Angelegenheit. Jeder Mensch ist eingeladen, mit seinem eigenen Dasein eine Antwort auf das Menschsein zu geben. Angst ist für Anfänger, Sicherheit für Schlafende. Der richtige Moment, die Augen zu öffnen ist jetzt. Und jetzt. Und jetzt.