Karriere, Heirat, Kinder, Hausbau – und das am besten noch in den Dreißigern: Für viele junge Frauen ist das eine absolute Wunschvorstellung. Auch Jennifer Klinge hat sich ihr Leben in den Dreißigern lange Zeit so vorgestellt – bis sie dort angekommen plötzlich feststellte, dass ihr Leben in eine andere Richtung verlief. In ihrem Buch "Auch gut" plädiert die Autorin für ein Leben im Einklang mit dem eigenen Timing und zeigt auf, dass es die "Musterlaufbahn" sein kann, aber nicht muss.
Viele junge Menschen haben eine grobe Vorstellung davon, wie ihr Leben in den Dreißigern wohl aussehen wird. Wie sah das bei Ihnen aus?
JENNIFER KLINGE: Ich hatte da schon so diese Vorstellung im Kopf: Erwachsen sein heißt mit einem Partner zusammenzuleben, verheiratet sein, Kinder haben, in einem Haus wohnen. Die Storyline, wie man sie auch überall in Filmen zu sehen bekam. Ich habe das nie hinterfragt, weil man eben auch so sozialisiert wurde.
Was hat Sie das Ganze hinterfragen lassen?
In meinen Zwanzigern habe ich gemerkt: Ich bin da ganz weit weg von – vom Wollen her. Ich dachte dann zuerst, dass ich einfach langsamer bin als die anderen. Dann habe ich gemerkt: Bin ich langsamer oder möchte ich einfach etwas ganz Anderes?
Zu welchem Ergebnis sind Sie damals gekommen?
Mein Fokus war zu dem Zeitpunkt ein ganz anderer: Ich habe mich damals nach und nach selbstständig gemacht, ich bin viel gereist, war feiern. Mit etwa 33 hat das dann angefangen, dass ich im Außen stark gespiegelt bekommen habe, dass das 'irgendwie nicht altersgemäß' ist.
Inwiefern?
Vieles davon war sicher nicht böse gemeint, aber wurde mit Unbedacht geäußert, die einem ständig spiegeln: 'Irgendwas stimmt nicht' – vor allem, wenn man single ist. Single-Sein wird immer mit einem bestimmten Mangel gleichgesetzt, als fehle da etwas. Irgendwann konnte ich nicht mehr unterscheiden: Ist das wirklich so oder habe ich das schon so verinnerlicht, dass ich mich selbst plötzlich als dieses 'Worst Case'-Szenario wahrnehme, wie es bei Bridget Jones und Co. gezeichnet wird?
Plötzlich ist dann alles wahnsinnig schnell gegangen: Alle hatten gefühlt einen Plan, sind weggezogen, haben Familien gegründet. Das hat natürlich Einfluss auf das eigene Leben, weil mit diesen Menschen hat man vorher viel Zeit verbracht. Und dazu kam eben dieses Narrativ von außen, dieses 'Die Zeit wird knapp'. Ich habe dann gemerkt, dass ich einfach keine Vision, keine Vorbilder hatte, die aufgezeigt haben, dass es auch andere Lebensentwürfe gibt als der klassische Weg von "Hochzeit, Kind und Eigenheim".
Wie ging es für Sie dann weiter?
Ich habe meine Lebensumstände verändert, habe gemerkt, dass ich in Bewegung kommen, Bewegung in den Geist bringen muss. Ich war damals in therapeutischer Begleitung, meine Therapeutin sagte zu mir: 'Sie müssen raus in das Leben und sich die Angst vor der Zukunft nehmen, indem Sie sich reinstürzen.' Das ist natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich und total individuell. Ich persönlich musste aus meiner Komfortzone raus und bin dann verreist und habe viele Gleichgesinnte getroffen. Da habe ich dann auch gemerkt: Es gibt noch etwas Anderes, es gibt andere Geschichten, die werden nur viel zu wenig erzählt. Das Unterwegssein hat mir viele neue Blickwinkel geschaffen.
Wie können wir lernen, Lebensläufe oder -entwürfe neu zu bewerten?
Ich bin auch heute noch nicht ganz frei davon, aber ich merke heute einfach viel schneller, wie stark wir in eine bestimmte Richtung sozialisiert wurden und dass es auch anders geht. Ich betrachte lieber die ganze Reise, als nur auf eine Vorlage zu schauen. Sich zu sagen: 'Jetzt bin ich hier, was läuft denn gerade gut, was kann sich noch entfalten, muss aber nicht?'
Hochzeit, Kind und Eigenheim ist trotzdem das, was viele Menschen sich wünschen.
Es geht mir null darum, dass ein Lebensentwurf besser ist als der andere. Ganz im Gegenteil: Es ist vollkommen cool, wenn jemand Mutter werden, heiraten will – und einen tollen Partner oder Partnerin dafür hat. Auch für mich ist das offen. Vielleicht treffe ich den Menschen noch, mit dem ich mir eine gemeinsame Zukunft aufbaue. Vielleicht aber eben auch nicht. Dann bin ich für etwas Anderes auf der Welt. Diese Alternative als gleichwertig anzusehen, das finde ich ganz wichtig.
Als Frau in den Dreißigern ist es aber auch Realität, nur bis zu einem bestimmten Punkt eigene Kinder bekommen zu können.
Klar, dem können wir uns nicht entziehen. Da kann man biologisch nichts ändern. Aber ich finde es wichtig, dieses Wettrennen im Kopf zu unterbinden. Ich gehe in den Kontakt zu mir im Inneren und frage mich: Will ich das oder glaube ich das zu wollen, weil ich das als normal erachte?
Man muss natürlich auch bedenken, dass unsere Wünsche sich nicht immer erfüllen. Damit gesund traurig zu sein: 'Ja, das hätte ich mir gewünscht, das funktioniert gerade aber nicht, vielleicht kommt es noch, vielleicht aber auch nicht.' Ganz wichtig aber ist, sich da nicht von der Gesellschaft dieses traurige Korsett überstülpen lassen. Das ist eine total einseitige Betrachtungsweise. Da mache ich nicht mit und gebe dem Leben ein bisschen Raum, dass es sich entfalten kann, statt ständig nur durchzustrukturieren.
In Ihrem Buch geben Sie Tipps, wie man das eigene Timing finden kann. Zum Beispiel?
Was mir immer hilft: Jeder Lebensentwurf zahlt einen Preis. Es gibt nicht irgendetwas, das nur 'WOW' ist – da werden wir oft geblendet durch Instagram und Co. Sich auch zu sagen: Es macht mir manchmal Angst, aber ich bin auf einer Reise und es gibt keinen Zeitstrahl, der festlegt, wann was passieren muss. Da muss man auch einfach mal die Nerven behalten und sich sagen: 'Hey, was kann denn mein Leben zaubern, was ich mir früher vielleicht nie vorstellen konnte?'
Es sind so viele Aspekte, die mitgedacht werden sollten, nicht nur diese Erzählung 'Zack, zack, zack, das sind so kleine Bausteine, die bauen wir zusammen und dann bist du happy'. Das Leben funktioniert anders. Ich denke, es ist wichtig, von klein auf zu lernen, eine bestimmte Flexibilität mitzubringen, um auf das Leben zu reagieren. Welche Bausteine möchte ich, welche sind für mich möglich und wie betrachte ich Glücklichsein?
Claire Herrmann