Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde die deutsche Grünen-Politikerin Annalena Baerbock von ihrer Partei zur Kanzlerkandidatin ernannt. Die ersten Fragen sollten nicht lange auf sich warten lassen, wie sie denn einen solchen Job mit ihrer Familie vereinbaren wolle. Immerhin habe sie doch zwei Kinder.
Männer für die Öffentlichkeit, Frauen für das Private?
Fragen wie diese sind für viele Frauen Realität, besonders beruflich erfolgreiche Frauen bekommen sie immer wieder gestellt. Aber warum ist das so? "Ich fürchte, die Erklärung dafür ist dieselbe wie vor fünfzig Jahren", sagt Libora Oates-Indruchova, Professorin für Geschlechtersoziologie an der Universität Graz. Von Frauen werde ebenso wie von Männern nach wie vor erwartet, bestimmte Rollen zu erfüllen.
"Männer werden als Individuen, als unabhängige Menschen, angesehen, wohingegen von Frauen erwartet wird, dass sie in Beziehungen zu anderen stehen", erklärt die Soziologin. So würden Frauen nach wie vor hauptsächlich als die Person angesehen, die die Betreuungsarbeit übernimmt und nicht als Individuen, die ein Leben außerhalb dieses privaten Umfelds haben. "Es ist, als ob Kinder nur ein Elternteil, nur eine sie betreuende Person hätten, statt zwei, die sie in der Regel haben."
Wenn Frau Mann "Frauenfragen" stellt
Seit einer ganzen Weile beobachtet auch ORF-Moderatorin Mari Lang, dass bestimmte Fragen tendenziell eher Frauen gestellt werden. Auf die Frage, warum das so ist, vermutet auch sie: "Jetzt könnte ich ganz salopp drauf sagen: Weil es immer schon so war." Seit Jahrhunderten reduziere man Frauen auf bestimmte Aspekte wie ihr Äußeres oder die gesellschaftliche Vorstellung, dass Kinder nach wie vor Frauensache seien.
Also hat Mari Lang den Spieß kurzerhand umgedreht und konfrontiert in ihrem Podcast Männer des öffentlichen Lebens mit typischen Frauenfragen. So darf sich Journalist Armin Wolf schon mal anhören, dass er für sein Alter doch noch recht viel Haare auf dem Kopf habe, oder Politiker Dominik Wlazny wird mit der Frage konfrontiert, ob denn seine biologische Uhr noch nicht ticke. Ihr Ziel: die Selbstverständlichkeit bestimmter Rollenbilder zu hinterfragen.
Mari Lang: "Viel erreicht, aber auch noch viel zu tun"
Welche Erkenntnisse die Podcasterin bisher daraus gewonnen hat, prominenten Männern typische Frauenfragen zu stellen? "Hauptsächlich, dass noch sehr viel zu tun ist." Nach Ansicht der Moderatorin fällt es Männern auch heute noch schwer, in Sachen Karriere einen Gang zurückzuschalten: "Ich meine dieses 'Jetzt bin ich da gerade im Job erfolgreich, da kann ich doch nicht plötzlich reduzieren und zu Hause bleiben'." Noch immer würden sich Männer sehr über Erfolg im Job definieren. Lang nimmt aber auch Frauen in die Pflicht: "Wenn man in den ersten Monaten nach einer Geburt den Großteil der Kinderbetreuung und der Haushaltsaufgaben völlig unhinterfragt übernimmt, darf man sich nicht wundern, wenn das in weiterer Folge so bleibt."
Dennoch müsse man betonen, dass bereits auch schon viel erreicht worden sei. Das werde ihr im Gespräch mit ihren Podcast-Gästen unterschiedlichster Generationen immer wieder bewusst: "Die heute 70-Jährigen leben Gleichberechtigung ganz anders als Männer der jüngeren Generation. Vor allem in Bezug auf die Kinderbetreuung hat sich einiges geändert. Das ist im Bewusstsein jüngerer Väter viel stärker da, dass das die Beziehung zum Kind aber auch die Beziehung in der Partnerschaft stärkt."
Die Gespräche mit ihren Gästen haben für Lang aber auch Überraschendes ans Tageslicht gebracht: "Die Reduktion aufs Äußere, die Frauen ja oft umgehängt wird, erleben Männer nicht unbedingt als etwas Negatives." Ihre männlichen Podcast-Gäste hätten solche Fragen eher als erfrischend, als angenehme Abwechslung in Interviews empfunden.
Geschlechtsspezifische Fragen hinter sich lassen
Wie sich typische Frauenfragen dennoch vermeiden lassen und wie wir es als Gesellschaft schaffen, von solchen geschlechtsspezifischen Fragen wegzukommen? Für Mari Lang lautet die Antwort darauf: "Das Erste ist das Bewusstwerden, das Zweite ist das Reden darüber und das Dritte ist das Handeln." Mit ihrem Podcast versucht die Journalistin ihre Hörerinnen und Hörer insbesondere zum Reflektieren zu bewegen. Daneben brauche es aber auch die Politik, um größere strukturelle Veränderungen zu ermöglichen.
Und: "Wir müssen ganz früh, schon bei Kindern und Jugendlichen, ansetzen." Mit der Minute der Geburt würden Geschlechterrollen und -stereotype schließlich eingeübt. Ähnlich sieht das Soziologin Libora Oates-Indruchova. Um Geschlechterstereotype zu brechen, brauche es Schulbücher, die alle Geschlechter in einer Vielfalt verschiedener Rollen zeigt." Eng damit zusammenhänge auch eine geschlechterinklusive Sprache. "Uns liegen Zahlen vor, die eine Korrelation zeigen, wie viele Frauen mehr sich auf einen Job bewerben, wenn das Inserat geschlechtsneutral formuliert wurde."
Der Soziologin sei bewusst, dass es Menschen gibt, die sich gegen das Gendern sträuben, dass Sätze dadurch teilweise länger werden, man vielleicht zwei oder drei Worte mehr in einem Satz brauche. Um die Geschlechtergerechtigkeit voranzutreiben, sei Sprache – besonders im Bildungsbereich – jedoch wesentlich. Die gebürtige Tschechin, die an der Uni Graz forscht und lehrt, fügt hinzu: "Es gibt diese Redewendung im Deutschen: 'So viel Zeit muss sein.' Ich denke, wenn es um Gleichberechtigung und Demokratie geht, muss man einfach sagen: 'So viel Zeit muss sein.'"
Claire Herrmann