Dass sowohl Pflegeberufe als auch die Pflege von Personen im privaten Umfeld hauptsächlich Frauensache sind, ist gut erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nun im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts "FutureGEN", das vom Wissenschaftsfonds FWF kofinanziert wurde, der Frage nachgegangen, ob und wie sich der Gendergap im Hinblick auf Gesundheit und Pflege verändert.
Die beiden Themen Gesundheit und Pflege seien von einem deutlichen Gendergap geprägt, so Ricardo Rodrigues, der das Projekt am Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien koordiniert. "Frauen leben länger als Männer, haben aber einen geringeren Anteil an gesunden Lebensjahren. Sie sind vor allem im Alter deutlich kränker als Männer." Zusätzlich sei gut erforscht, dass es bei Frauen sehr viel wahrscheinlicher sei, dass sie kranke Angehörige pflegen. Die Forscher interessierten sich aber dafür, ob sich hier etwas ändert. Das Lebensjahrzehnt zwischen 50 und 60 gelte als besonders spannend, da sich die Pflege von Angehörigen statistisch auf diesen Zeitraum konzentriert. Sehen Sie hier das Video "Was man beachten muss, um gesund durchs Alter zu kommen"
Für ihre Untersuchungen machten die Wissenschaftler in Europa bestehende Datensätze ausfindig und verglichen die Alterskohorten miteinander. Beispielsweise wurde die Gesundheit von heute 50- bis 60-Jährigen der Gesundheit von heute 70- bis 80-Jährigen, als diese 50 Jahre alt waren, gegenübergestellt. Eine der Hypothesen sei laut Rodrigues gewesen, dass es bei der Gesundheit eine Angleichung geben würde. Diese sei auch eingetroffen, aber nicht im erwünschten Sinne: Die Forscher erkannten, dass Männer älter und kränker werden – und sich somit den Frauen angleichen würden. Eine mögliche Ursache sei Rodrigues zufolge, dass Männer heutzutage Krankheiten überleben würden, an denen sie vormals schon deutlich früher gestorben wären. "Wir sind gut darin, Menschen länger am Leben zu erhalten. Wir sind aber nicht gut darin, sie auch gesund zu halten", konstatierte der Wissenschaftler.
Menschen werden älter, sind aber nicht gesünder
Da zur Untersuchung Datensätze aus verschiedenen Gebieten herangezogen wurden, lassen sich auch regionale Unterschiede feststellen. In Nord- und Westeuropa stellten sie das gleiche Muster fest: Männer und Frauen würden zwar älter, seien aber nicht gesünder als ihre Vorgängergeneration. Eine Ausnahme dieser Regel bildet die jüngere Frauenkohorte aus Osteuropa. Eine mögliche Erklärung sei laut Rodrigues, dass dort in den letzten Jahrzehnten ein höheres Maß an Geschlechtergleichheit in Sachen Einkommen und Bildung entstanden sei, was sich positiv auf die Gesundheit der Frauen ausgewirkt haben könnte. Insgesamt hätten die Muster der Gesundheit im Alter jedoch stärker nach Geschlecht, Alter und Region variiert als nach Kohorte.
Im Bereich der Pflege hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Hypothesen: Sie erwarteten einerseits, dass sich der Anteil an Frauen zwischen 50 und 60, die Angehörige pflegen, aufgrund der gestiegenen Berufstätigkeit verringert haben müsste. Außerdem gingen sie davon aus, dass Männer einen Teil der Pflege übernehmen würden, so wie es bei der Kinderbetreuung bereits der Fall sei. Beide dieser Annahmen stellten sich jedoch als falsch heraus, nur bei Männern in höherem Alter wurde festgestellt, dass sie oftmals ihre Frauen pflegen würden. Die Pflege der Eltern, besonders außerhalb des eigenen Wohnorts, sei aber immer noch eindeutig Frauensache.
Angst vor einem "grauen Tsunami"
Rodrigues ist überzeugt, dass für die Politik wahrscheinlich die Erkenntnis am wichtigsten sei, dass unsere längere Lebenszeit bis jetzt nicht mit besserer Gesundheit einhergehe. Besonders zur Abschätzung des zukünftigen Pflegebedarfs sei das relevant. Außerdem scheint es anhand der gewonnenen Erkenntnisse wahrscheinlich, dass Frauen weiter in der Pflege von Angehörigen tätig sein werden. Es zeige, so der Experte, dass die Angst vor einem "grauen Tsunami" und vor nicht zu bewältigenden Pflegekosten übertrieben sei. Das gehe aber auf Kosten der Geschlechtergerechtigkeit.