Unser Körper ist von einer unvorstellbar hohen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt. Zu diesem menschlichen Mikrobiom zählen auch die Archaeen, früher auch "Urbakterien" genannt. Ein Forscherteam der Medizinischen Universität Graz und der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Partner aus Großbritannien und Frankreich hat eine Bestandsaufnahme dieser einzelligen Organismen im menschlichen Darm geliefert, teilte die Grazer Med-Uni am Dienstag mit.

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Das Zusammenspiel der Mikroorganismen auf und in unserem Körper ist hochkomplex. Wird das feine Gleichgewicht des Mikrobioms gestört, können unliebsame Krankheitserreger leichter die Oberhand gewinnen. Forschende weltweit untersuchen daher seit Jahren intensiv die Interaktionen von Mikroorganismen mit ihren Wirtslebewesen und ihre Beteiligung an zentralen Lebensprozessen.

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Wenn es um die Zusammensetzung und Funktion des menschlichen Mikrobioms geht, stehen allerdings größtenteils Bakterien im Mittelpunkt des Forscherinteresses, da sie zahlenmäßig das Mikrobiom dominieren. Die Archaeen - eine erst in den 1970er-Jahren entdeckte Domäne von urzeitlichen Einzellern ohne Zellkern, die verschiedene Anpassungsstrategien an extreme Bedingungen entwickelt haben - sind bisher in Bezug auf den menschlichen Organismus wenig beachtet worden. Bisher ist auch noch kein pathogenes Archaeon gefunden worden. Forschende an der Med-Uni Graz wollen in internationalen Kooperationen herausfinden, welche Rolle die Archaeen für unsere Gesundheit spielen.

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Zuletzt hat das Forscherteam Datenquellen aus bestehenden Mikrobiomstudien über den menschlichen Darm zusammengeführt. "Zunächst konnten wir feststellen, dass das menschliche Archaeom weitaus vielfältiger ist als bisher bekannt und unabhängig von äußeren Faktoren wie Geografie, Geschlecht oder Alter bei den meisten Menschen eine Kernzusammensetzung aus etwa der gleichen Art aufweist", betonte Cynthia Chibani von der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) anlässlich der jüngsten gemeinsamen Publikation im Journal "Nature Microbiology".

Drei Gattungen, 15 Arten und 52 Stämme

Die Forschenden haben einen Katalog vorgelegt, der aus mehr als 1000 Archaeengenomen besteht. Unter anderem wurden drei Gattungen, 15 Arten und 52 Stämme neu identifiziert. "Unsere Arbeit erweitert unser derzeitiges Verständnis des menschlichen Archaeoms und bietet einen großen Genomkatalog für zukünftige Analysen, um seine Auswirkungen auf die menschliche Physiologie zu entschlüsseln", so die Autorinnen und Autoren rund um Ruth Schmitz-Streit von der CAU und Christine Moissl-Eichinger von der Med-Uni Graz.

Neben der bloßen Zusammenstellung der Arten hat das Team nach Verbindungen zu bereits bekannten Mustern in der Erbinformation der Archaeen gesucht. Dazu untersuchten sie mehr als 28.000 Proteincluster: "Aus dem Vorkommen bestimmter Arten und den von ihnen produzierten Proteinen lassen sich potenziell Rückschlüsse auf beispielsweise Altersgruppen oder Lebensstile ziehen", erklärte Alexander Mahnert von der Med-Uni Graz, der die bioinformatischen Analysen gemeinsam mit Cynthia Chibani durchführte.

Die im menschlichen Darm häufigsten Archaeen sind methanbildende, sogenannte Methanobacteriales und Methanomassilicoccales. In der sauerstoffarmen Umgebung im menschlichen Darm dürften sie dort lebende Bakterien in ihrer Stoffwechselaktivität unterstützen und deren Stoffwechselprozesse effizienter machen. Methanobacteriales werden hauptsächlich durch Methanobrevibacter smithii repräsentiert. Die Forscher haben aufgrund der festgestellten Unterschiede eine Aufspaltung dieser Spezies in zwei eng verwandte Arten (M. smithii und Ca. Methanobrevibacter intestini) vorgeschlagen. Das konkrete Zusammenspiel dieser Arten und die Bedeutung für die menschliche Gesundheit müssen noch entschlüsselt werden.

Erst der Anfang

Laut Med-Uni Graz stehe die Identifizierung der gesamten Vielfalt der Archaeen erst am Anfang. "Der jetzt vorgestellte Archaea-Katalog und der dazugehörige Proteinkatalog - 1,8 Millionen Proteine - können künftig als einzigartige Quelle für die Entwicklung neuartiger Forschungsfragen genutzt werden", betonte Moissl-Eichinger. Zu den zukünftigen Ansätzen gehört etwa die Untersuchung der Physiologie und des Stoffwechsels der neu identifizierten Archaeen oder die Kommunikation mit dem menschlichen Wirt", so die Expertin.

Um in Zukunft die funktionellen Aspekte des Archaeoms untersuchen zu können, sei auch die Entwicklung neuer Analysemethoden erforderlich, da diese derzeit hauptsächlich auf Bakterienarten zugeschnitten sind, wurde betont. Weiters sei die gezielte Kultivierung von Archaeen aus dem menschlichen Darm notwendig. "Insgesamt tragen unsere Arbeiten maßgeblich zum Verständnis des menschlichen Mikrobioms als komplexes, vielschichtiges Netzwerk aus Bakterien, Archaeen, Pilzen und Viren bei", fasste Ruth Schmitz-Streit zusammen. Auf dieser Basis will man die Auswirkungen der Archaeen auf die menschliche Physiologie Schritt für Schritt zu entschlüsseln.