Impfen – Ja oder Nein? Das ist das große Streitthema dieser Tage, das Freundschaften zerstört und Familien spaltet. Wie können wir wieder vernünftig miteinander diskutieren?
Andrea Hartmann-Piraudeau: Was spaltet, sind die unterschiedlichen Haltungen. Das ist übrigens nicht nur bei Corona so, sondern bei allen kontroversen Themen wie Klimawandel oder Flüchtlingspolitik. Die Impfung ist ein starkes Streitthema, bei dem sich schnell Fronten aufbauen. Man sollte wieder in den Dialog kommen.

Andrea Hartmann-Piraudeau
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Muss man das Streitthema denn thematisieren oder kann man sagen: Hier sind wir verschiedener Meinung, das blenden wir aber im Sinne unserer Freundschaft aus?
Absolut. Das ist ja nicht nur seit Corona so. Solche „Alarmthemen“ gab es immer schon in Freundschaften und Familien. Das kann man auch vereinbaren und sagen: „Uns verbindet so viel und in diesem Thema sind wir uns einfach nicht einig. Lass uns doch versuchen, die Impfung heute auszuklammern.“ Wie gut das klappt, hängt natürlich von der Enge der Beziehung ab. Mit einer Freundin, die man ab uns zu sieht, geht das. Mit dem Lebenspartner, mit dem ich gemeinsam die Nachrichten schaue, weniger.

Zur Corona-Impfung: Man hat in den vergangenen Wochen den Eindruck bekommen, dass sie Diskussionen und Umgangston noch verschärft hat. Woran liegt das?
Es gibt wahrscheinlich keinen einzigen Menschen, der von sich behauptet: Ich habe mich impfen lassen und mir gar keine Sorgen gemacht. Es ist ein Thema, das eine aktive Entscheidung bedeutet. Auch hier haben wir einen Schutzmechanismus. Unser Hirn sagt: „Du hast dich entschieden, dich impfen zu lassen.“ Und als Geimpfter will man dann nicht mehr viel hören, das gegen die Impfung spricht. Weil wir uns nicht mehr irritieren lassen wollen. Wir möchten, dass unsere Entscheidung in unserem Kopf konsistent und richtig bleibt. Deshalb suchen wir uns auch ganz bewusst die Nachrichten und Menschen, die unsere Position stärken. Und dadurch entsteht eine noch größere Spaltung und Abgrenzung.

Wenn man bitterböse auseinandergegangen ist, es nun aber bereut, wie kann man sich wieder annähern?
Wenn man das Gefühl hat, nicht gut sprechen zu können, hilft vielleicht ein Brief oder eine SMS. Deeskalierend wirken immer Ich-Botschaften und nicht Du-Botschaften, weil sie sofort eine Gegenrede provozieren. Zum Beispiel: „Ich bin traurig, weil wir im Streit auseinandergegangen sind und ich merke, dass mich das belastet.“ Man sollte auch die Emotion mittransportieren. Wichtig ist hier, nicht wieder zu erklären, was alles passiert ist wie: „Dann hab ich gesagt, dann du, dann wieder ich …“ Einfach sagen, wie man sich fühlt und was man sich wünscht.