Bevor die Pandemie unser Leben auf den Kopf gestellt hat, war FOMO eines der Schlagworte, die man öfters hörte. Dieser Begriff steht für „Fear of missing out“, also die Angst etwas Großartiges verpassen zu können. Eine tolle Party, ein einzigartiges Konzert. FOMO hat auch ein Gegenüber. JOMO. Diese vier Buchstaben stehen für „Joy of missing out“ – also die Freude daran, etwas zu verpassen.
Und nun, in einer Zeit, in der diese Pandemie ihren Charakter etwas ändert, Maßnahmen gelockert werden, das Virus aber mitnichten aus unserer Mitte verschwunden ist, da empfinden es manche Menschen nicht als Befreiung, einfach wieder in ihr „altes“ soziales Leben zurückzukehren. Sie empfinden es nicht als Belastung, manches zu verpassen.
Es gibt auch den einen oder anderen Begriff, der dieses Phänomen beschreibt: Re-Entry-Anxiety etwa ist einer. Cave-Syndrom ein anderer. Beide Bezeichnungen beschreiben unterschiedliche Ausprägungen desselben Gefühls: Zum einen den Respekt vor der Rückkehr zu all den unterschiedlichen Kontakten, die ein Leben in unserer Gesellschaft mit sich bringt. Und zum anderen die Zufriedenheit, in der eigenen „Höhle“ (cave) zu bleiben, statt dem Miteinander zu frönen.
Das gelernte Abstandhalten, die gewohnte Kontaktreduktion
Grundsätzlich sind diese Gefühle verständlich, wir haben weit mehr als ein Jahr Abstand gehalten, konnten kaum physische Treffen wahrnehmen, trugen Maske. Die Sorge um die Gesundheit hat viele vorsichtig werden lassen. Die Anpassung an ein Leben, das wieder mehr zulässt, fällt nun nicht allen leicht. Das kann unterschiedliche Ausprägungen haben, manche tragen FFP2-Maske, auch wenn sie nicht vorgeschrieben ist. Wieder andere treffen sich auch weiterhin nicht mit anderen Menschen in Innenräumen. „Dieses Verhalten stelle ich auch fest“, sagt Cornel Binder-Krieglstein, klinischer Psychologe und Psychotherapeut. „Aber nur bei einer Minderheit, denn der überwiegende Teil freut sich über das Aufheben von beschränkenden Maßnahmen.“
Die Ursache für eine geringe Risikobereitschaft, die Vorsicht und in manchen Fällen vielleicht auch Angst, sieht Binder-Krieglstein in der, wie er es nennt, psychischen Basis-Ausstattung jedes einzelnen Menschen. Das bedeutet: Wenn ich ein von Grund auf zuversichtlicher Mensch bin, werde ich versucht haben, die Pandemie und nun auch diese Veränderung positiv zu bewältigen. Verfüge ich über eine eher ängstliche Disposition, werde ich auf Basis derer etwa die Lockerungen der Maßnahmen auch eher vorsichtig bewerten.
Wobei das Motiv mitnichten nur Angst sein muss. Es kann auch die Sorge um die eigene Gesundheit oder um jene von anderen sein. Oder positiver konnotiert: Jene Menschen, die sich nun nicht sofort ins Getümmel schmeißen, versuchen mit der Situation sehr umsichtig umzugehen, Risiken abzuwägen.
Die Möglichkeit haben, zu handeln
Bei dem Großteil der Betroffenen dürfte sich diese Haltung mit der Zeit aber legen. Und egal, wie schnell und ausführlich man wieder am gesellschaftlichen bzw. sozialen Leben teilnimmt, wichtig ist es, sich Handlungsoptionen zu schaffen. „Das Wichtigste ist, nicht das Gefühl zu haben, ohnmächtig zu sein, sondern die Möglichkeit zu haben, zu handeln“, sagt Binder-Krieglstein.
Das bedeutet, wenn mir etwas unangenehm ist, bin ich dem nicht hilflos ausgeliefert, sondern habe Alternativen. Der Weg zurück in die Normalität wird ohnehin noch etwas dauern. Wie auch diese Coronavirus-Pandemie. Aber eines ist sicher: Wenn sie einmal endet, wird es sicher niemand verpassen.