Seit mehr als einem Jahr wird unser Alltag von der Coronapandemie überschattet und die Jugend ist mittendrin: Homeschooling, keine Freunde, keine Vereine, kein Nachtleben. Inwiefern könnte diese Generation auf lange Sicht von dieser schwierigen Phase profitieren? Welche Kompetenzen könnte sie sich aneignen, die ihr in Zukunft einen Vorteil verschaffen könnte?
Ali Mahlodji: Das Wertesystem von Jugendlichen entwickelt sich zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr. Das heißt, die Jugendlichen von heute lernen gerade mehr übers Leben, als ihnen die Schule jemals beibringen wird. Das wird eine Generation von krisensicheren Erwachsenen werden. Die Jugendlichen von heute sehen, was sie in ihrer Zukunft sicher nicht haben wollen. Sie werden Krisen ganz anders begegnen als wir Erwachsenen, das heute machen.
Wer ist nun im Umgang mit der jungen Generation besonders gefordert?
Besonders gefordert sind definitiv Eltern und Lehrpersonal. Die müssen jetzt so viel schaffen, oft auch Dinge, für die sie eigentlich gar nicht zuständig sein sollten. Gefordert sind wir Erwachsene aber alle. Wir müssen uns wieder bewusst werden, dass wir für die Kids von heute Vorbilder sind. Sie orientieren sich ja auch an uns. Momentan machen wir das wirklich schlecht. Das müssen wir ändern. Wie sollen die Jugendlichen von heute sonst lernen, dass man sich in Krisenzeiten nicht die Schädel einschlagen muss. Coronakrise oder Arbeitsalltag: Zwischen Alt und Jung gibt es in vielen Bereichen eine Kluft. Wie kann man zusammenfinden?
Wir müssen aufhören, aus unserem eigenen Standpunkt zu erzählen und dann, wenn wir falsch verstanden werden, diese Wut dem Gegenüber umzuhängen. Man sollte in die Neugier gehen und sich fragen: Warum denkt der so? So macht man einen Denkraum auf, in dem der andere sich nicht rechtfertigen muss, sondern erzählen kann. Sie sind EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit, sagen aber, dass es für Sie keine Jugendlichen oder Erwachsenen gibt. Wie darf man das verstehen?
Wir sind nur Experten fürs eigene Leben. Außer man fragt bewusst: Wie siehst du das? Ein Beispiel, das ich bei Schulungen mit Führungskräften immer bringe: Was fällt Ihnen zur Farbe Rot ein? Einer sagt Liebe, der andere Tod, Austrian Airlines, Ampel. Und dann nehmen wir einmal den Begriff Respekt. Was passiert nun, wenn man miteinander spricht? Jeder spricht nur über seine eigene Definition. Wenn man das versteht, ein Vermittler und Mediator ist, dann kann man dafür sorgen, dass sich beide Seiten wohl- und abgeholt fühlen. Sie wurden 1981 in Teheran geboren, kamen mit zwei Jahren nach Wien und sind unter anderem im Flüchtlingsheim Traiskirchen aufgewachsen. Sie hatten Lernschwierigkeiten und stotterten. Wie wurde aus diesem Burschen der Whatchado-Gründer und EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit? Wann hat sich bei Ihnen der Knopf gelöst?
Es gab mehrere Momente. Ich habe meine Stimme aber eigentlich gefunden, als ich Whatchado gestartet habe. Ich hatte von Kindesbeinen an die Neugierde, zu verstehen, was Menschen antreibt. Ich habe in meiner Jugend erlebt, was es mit einem macht, wenn man nicht wahrgenommen wird. Als ich gestottert habe, der Tschusch war. Als ich Ferialjobs hatte und sich niemand die Mühe machte, wenigstens zu versuchen, meinen Nachnamen richtig auszusprechen.Auf Whatchado zeigen Menschen in kurzen Videos, was sie beruflich machen. Sie hatten nach der Schule 40 Jobs. Ihr Buch heißt „Entdecke dein Wofür“. Wie können Jugendliche ihre Talente entdecken?
Die ersten zehn Jahre nach der Schulzeit sind zum Ausprobieren da. Man hatte als jugendlicher Mensch bis zum 18. Lebensjahr meistens noch nie die Chance, etwas zu probieren. Und nach der Schule ist man plötzlich gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Man muss da noch nicht wissen, was man vom Leben will. Es ist in Ordnung, zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr Jobs für einige Zeit auszuprobieren und dann zu sagen: Jetzt habe ich dazugelernt, nun ziehe ich weiter.