Durch das Pisa-Modell soll die Effektivität der Bildung erhöht werden: Noch mehr Wissen in noch kürzerer Zeit - das macht Druck und hinterlässt Spuren. Die Drop-out-Raten bei Oberstufenschülern und die Burn-out-Raten bei Lehrern steigen. Die Grazer Psychologen Michael Wohlkönig, David Kleiner und Lehrerin Andrea Tekautz haben nun ein Konzept entwickelt, das den "Positiven Klassenraum" in Schulen etablieren und stärkenbasierten Umgang in den Vordergrund stellen soll.

An der Pädagogischen Hochschule Graz wird im Herbst eine Ausbildung für Lehrer starten, die die Positive Psychologie als Grundlage hat. Wie kann man sich das vorstellen?
MICHAEL WOHLKÖNIG: Der neue Hochschullehrgang, der drei Semester umfasst, ist als Fort- und Weiterbildung für Lehrer gedacht. Zielgruppe sind die Pädagogen der Sekundarstufe für die ab 10-jährigen Kinder. Hier gibt es bereits breite wissenschaftlich fundierte Evidenz für die Wirksamkeit des Konzepts. Wichtig ist es für Lehrer, Hoffnung und Optimismus bei den Schülern zu erwecken, dass Schule schaffbar ist. Das eigene Selbstbild trägt enorm viel zum Lernerfolg bei und wenn Schüler an sich glauben und erfahren, dass sie durch Anstrengung weiterkommen können, unabhängig von ihren Voraussetzungen, dann ist die Schule leichter zu schaffen und sie sind lieber dort.

DAVID KLEINER: Im Zuge unserer Ausbildung sollen auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, mithilfe derer die Pädagogen in ihrer Mitte bleiben und sich entfalten können.

WOHLKÖNIG: Eine weitere Grundlage für die Ausbildung ist das Selbstbildkonzept von US-Psychologin Carol Dweck. Es unterscheidet zwei Überzeugungen: Habe ich nur angeborene Fähigkeiten oder sind sie durch Training erweiterbar? Wenn Menschen ein fixiertes Selbstbild haben, könnte passieren, dass ein Schüler neu in die Schule kommt und vom Lehrer in eine Schublade gesteckt wird. Es wird ihm nicht zugestanden, sich weiter entwickeln zu können. Auch wenn ein Schüler von sich selbst die Sicht hat, er kann etwas nicht, wird er sich bei einem fixierten Selbstbild nicht weiter entwickeln. Unser Ziel ist es, die Menschen in ein dynamisches Selbstbild zu bringen, wo sie überzeugt sind, wachsen zu können und sich trauen, Herausforderungen anzunehmen. Statt einem "Ich kann das nicht." ein "Ich kann das NOCH nicht."

David Kleiner
David Kleiner © Thomas Luef
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Wie geht man mit unserer Fehlerkultur um?
WOHLKÖNIG: Wir wollen Kinder ermutigen, dass sie Fehler machen dürfen, denn da lernen sie am meisten. Wenn ich Fehler mache, ist das Gehirn am aktivsten. Und wie gehen Erwachsene mit Fehlern um? Wenn man einen Fehler macht, bekommt man häufig geschimpft. Und wir schimpfen auch selbst mit uns, wenn wir Fehler machen. Was lernen die Kinder daraus? Fehler müssen auf jeden Fall vermieden werden. Dadurch sinkt die Selbstwirksamkeit. Fehler sollte man eigentlich emotionslos hinnehmen, das ist aber schwierig in unserer Kultur.

KLEINER: Wichtig ist es auch, Personen und Verhalten voneinander zu trennen. Man kann sagen: "Es passt mir nicht, wie du deine Arbeit heute gemacht hast, aber ich schätze dich trotzdem als Mensch." Und man konkretisiert, was anders gemacht werden sollte, ohne jemanden persönlich anzugreifen. Lehrer können sich als kongeniale Partner für die Schüler präsentieren - das heißt, nicht einer allein weiß, wie es gemacht gehört, sondern man wächst gemeinsam. Und wichtig ist auch die Haltung: Wenn ein Kind einen Dreier hat, kann man die Fehler sehen, warum es kein Einser wurde. Man kann aber auch die Stärken sehen, die das Kind für den Dreier eingesetzt hat.


Wie macht man das mit einem Fünfer?
WOHLKÖNIG: Auch hier wird man etwas finden, wo es Stärken gibt. Was kann man in anderen Bereichen gut? Kann man das auch einsetzen, um die Note auszubessern? Es gibt auch Stärken, die mit dem Fach nichts zu tun haben, die man aber trotzdem nutzen kann.

Michael Wohlkönig
Michael Wohlkönig © Philip Platzer


Wie kann man die Motivation bei Schülern und Lehrern erhalten?
WOHLKÖNIG: Lehrer sollen wissen, warum sie ihre Arbeit machen. Was kann ich bei den Schülern bewirken? Wie kann ich ihm helfen, sein Potenzial zu entfalten? Wie kann ich zum größeren Ganzen beitragen? Ganz vielen engagierten Lehrern ist es wichtig, für ihre Schüler da zu sein und sie weiterzubringen. Das stärkt sie und macht sie resistenter gegen Stress. Und für den Schüler: Warum bin ich in der Schule? Wenn man den Sinn nicht sieht, sinkt die Motivation, zu lernen. Man könnte zum Beispiel regelmäßig evaluieren: Das, was ich diese Woche gelernt habe, wofür kann ich das später brauchen? US-Psychologin Angela Duckworth hat das "Grit"-Modell entwickelt, wie man Erfolg erklären kann: Mit einer Mischung aus Ausdauer und Begeisterung kommt man viel weiter als mit Intelligenz. Und wer den Sinn in einer Sache sieht, hat inneren Antrieb und bringt mehr Ausdauer und Begeisterung zustande.

KLEINER: Ganz wichtig ist mir der Punkt Zielerreichung auch für den Lehrer. Wenn man die Selbstwirksamkeit in einer leitenden Position nicht bedient, läuft man Gefahr, in ein Burnout zu schlittern. Wenn ein Lehrer seinen Schülern etwas beigebracht hat, hat er etwas erreicht und es ist ganz wichtig, das auch im Kleinen wahrzunehmen. Und man kann ruhig immer wieder mit den Schülern die kleineren und größeren Erfolge feiern.

WOHLKÖNIG: Ganz oft hört man: "Das war ja keine große Leistung." Stattdessen kann man auch kleine Schritte anerkennen und sichtbar machen.

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Durch die Pisa-Tests soll die Effektivität der Bildung erhöht werden und damit kam viel Druck ins Schulsystem, die psychischen Belastungen steigen.
WOHLKÖNIG: Im Kindergarten wird schon der Entwicklungsstand der Kinder geprüft. Jeder, der nicht ins Gymnasium kommt, hat es nicht geschafft. Wenn man nicht studiert, hat man weniger Chancen. Diese Leistungsgedanken sind in der Gesellschaft schon sehr stark.

KLEINER: Die Schule an sich ist eine durchaus funktionierende Einrichtung, für die sich die Bedingungen ändern. Wir versuchen mit unserer Ausbildung den Veränderungsprozess so zu begleiten, dass Schule trotzdem gelingen kann. Lehrer können damit über ihr eigenes Handeln reflektieren, um dann ruhig, besonnen, motivierend und stärkend an das Kind herantreten zu können und diese Begeisterung auch weiter zu nähren. Es ist aber nicht nur wichtig, mit den Lehrern zu arbeiten, sondern es kommt auf die Grundhaltung von Lehrern, Eltern und den Direktoren an.