Ideen zur verzögerten Gabe einer zweiten Impfdosis gegen das SARS-CoV-2-Virus sieht der in New York arbeitende österreichische Virologe Florian Krammer sehr kritisch. In einigen Ländern sei aktuell schon mehr Impfstoff da als tatsächlich verimpft wird. Man sollte daher "zuerst Vorhandenes an den Mann bringen", bevor neue Impfschemen diskutiert werden, zu denen auch wichtige Daten fehlen, sagte Krammer am Montag.
Impft man, wie aktuell vor allem in Großbritannien breiter diskutiert, möglichst viele Menschen rasch ein Mal und verschiebt dafür die zweite Gabe weiter nach hinten, könne das theoretisch sogar die Verbreitung neuer Virusvarianten begünstigen. Das liege daran, dass sowohl bei dem Impfstoff von Pfizer und Biontech sowie bei jenem von Moderna nach nur einer erhaltenen Dosis viele Geimpfte zwar mit neutralisierenden Antikörpern ausgestattet sind, deren Konzentration aber mitunter um das zehn- bis zwanzigfache niedriger als nach der zweiten Gabe sein kann.
Asymptomatische Infektionen
Der am New Yorker Mount Sinai Hospital in New York tätige steirische Virologe führte in einem vom deutschen Science Media Center (SMC) veranstalteten Pressegespräch ins Treffen, dass auch in den Zulassungsstudien der ersten Impfstoffe gezeigt wurde, dass es nach der ersten Gabe asymptomatische Infektionen gibt. Hat jemand aber einerseits nur wenige Antikörper, trägt das Virus aber vielleicht länger quasi unerkannt herum, könnte dies dazu führen, dass Virusvarianten noch bessere Überlebenschancen haben, die "resistenter gegen diese neutralisierenden Antikörper sind", sagte Krammer.
Ändern der Impfstrategie kann "global zum Problem werden"
Verlängert man durch die Verschiebung der eigentlich nach drei bzw. vier Wochen vorgesehenen zweiten Impfung den Zeitraum, in dem das bei sehr vielen Menschen passieren kann, berge das ein gewisses Risiko, das sich aber schwer quantifizieren lasse. Ein Ändern der Impfstrategie könnte aus diesem Grund "global zum Problem werden". Daher sollte man dieses Risiko nicht eingehen und Impfintervalle - wie vorgesehen - kurz halten, betonte der Forscher.
Eher noch Dosis reduzieren
Bevor man mit Verschiebungen arbeite, sollte eher noch an Dosis-Reduktionen gedacht werden. Dazu und zu anderen Ideen, wie der "sehr interessanten" Kombination von Vakzinen, oder der Frage, der verzögerten Impfung von Menschen mit bereits überstandener Infektion, brauche es aber noch zahlreiche Daten. Daher gehe es jetzt vor allem aber darum, die Logistik so zu verbessern, dass der vorhandene Impfstoff auch "so schnell, wie möglich" verimpft wird. Kampagnen sollten daher auch nicht an Wochenenden ruhen, sagte Krammer.
"Die Vorgaben der Zulassungsstudien zu verlassen, ist gegen die guten Regeln", betonte auch Hartmut Hengel vom Universitätsklinikum Freiburg (Deutschland). So etwas vor allem in einer laufenden Pandemie zu tun sei "keine gute Idee". Für Hengel ist es ein "unheimliches Glück", dass die bisher zugelassenen RNA-Impfstoffe offenbar hohe Wirksamkeiten haben: "Wir sind in einer unerwartet günstigen Situation." Da sich die Vakzine voraussichtlich auch rasch an neue Virusvarianten anpassen lassen, "können wir das Wettrennen gegen das Virus gerade mit diesen Impfstoffen gut bestreiten".
Die Diskussion über etwas abweichende Wirksamkeiten der Wirkstoffe ist für den Virologen Thomas Mertens vom Universitätsklinikum Ulm und Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland nicht sinnvoll. Viele herkömmliche Impfstoffe würden Infektion auch nicht zu 100 Prozent verhindern. Das werde oft vergessen. Die zentrale Frage sei aber, wie viele Viren Geimpfte wirklich ausstoßen. Hier brauche es noch weitere Untersuchungen, der positive Effekt der Vakzine sei aber klar. Daher sollten auch bei Kampagnen etwa in Altersheimen übrig gebliebene Impfdosen möglichst schnell woanders verwendet werden, so auch eine Empfehlung der STIKO. "Impfen ist besser als Wegschmeißen", so Mertens, der hier aber eine lückenlose Dokumentation und "noch mehr Kommunikation" zum Thema Impfen einforderte.