Warum werden wir im Herbst so sentimental und traurig?

Edda Winkler-Pjrek: Das hat vor allem mit dem Lichtmangel zu tun. In der Ambulanz für Herbst-Winter-Depressionen am AKH Wien, die es seit über 20 Jahren gibt, fragen wir die Patienten verschiedene Dinge ab. Fast alle bestätigen, dass es gar nicht um die Temperaturen geht, sondern um den Lichtmangel. Wenn es im Winter später hell und früher dunkel wird, dann können bei einigen Probleme auftreten. Nach der Zeitumstellung beginnen bei den meisten Patienten die Beschwerden.

Welches Licht ist hier entscheidend?

Es geht vor allem um das Licht am Morgen, weil es ein wichtiger Zeitgeber für den menschlichen Körper ist. In der Nacht ist der Melatoninspiegel hoch. Er macht uns müde. In der Früh, wenn es hell wird, unterdrückt das Licht die Melatoninproduktion im Gehirn. Der Melatoninspiegel soll untertags schön niedrig sein, dann ist man munter. So ist das bei gesunden Menschen auch im Winter. Bei den Herbst-Winter-Depressiven ist der Melatoninspiegel untertags aber viel zu hoch.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass Licht auch den Serotoninspiegel heben kann und somit auch die Stimmung. Und dieses Licht fehlt am Nachmittag - nach der Zeitumstellung wird es ja noch einmal um eine Stunde früher dunkel und das schlagartig. Bei vielen beginnen deshalb die schlimmen Beschwerden auch mit der Zeitumstellung. Im Frühjahr und Sommer kann man eben noch nach der Arbeit Sport machen und das ist nun nur noch schwer möglich. Man verlässt das Haus im Dunkeln und kommt auch im Dunkeln wieder nachhause.

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Wie sehen die Anzeichen genau aus?

Edda Winkler-Pjrek

Verschärft der Lockdown nun diese Umstände?

Das ist schwer zu sagen, der Lockdown wird sehr unterschiedlich empfunden. Häufig beginnen Herbst-Winter-Depressive im November über Symptome zu klagen, ab Mitte Dezember bis Mitte Jänner wird es etwas besser. Ende Jänner/Anfang Februar kommt es oft neuerlich zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Diese Verbesserung Mitte Dezember könnte möglicherweise damit zusammenhängen, dass Weihnachten vor der Tür steht und diese Aussichtslosigkeit damit auch etwas gebannt ist. Durch den Lockdown werden einige Weihnachtsfreuden, wie Adventmärkte, Familie treffen, gemeinsames Backen, in gewisser Weise nur eingeschränkt möglich sein. Man muss beobachten, wie sich das auf die Herbst-Winter-Depressionssymptomatik auswirkt.

Gibt es Unterschiede zwischen dieser saisonalen Depression und der „herkömmlichen“ Depression?

Von der Symptomatik her an sich gar nicht. Es gibt sehr leichte und genauso auch ganz schwere Herbst-Winter-Depressionen. Die einzigen Symptome, die man herausarbeiten könnte, wären, dass ungefähr zwei Drittel der Menschen mehr Appetit haben. Das ist bei einer nicht-saisonalen Depression eher nicht so, hier ist die Mehrheit eher appetitlos. Um eine Herbst-Winter-Depression diagnostizieren zu können, muss in zumindest zwei Jahren in Folge, im Herbst und Winter eine Depression aufgetreten sein, die im darauffolgenden Frühjahr wieder remittiert ist. Im Frühling und Sommer muss der Patient auch ohne Medikament gesund sein. Das wäre ein Hinweis auf eine saisonale Depression.

Sind Menschen jeden Alters gefährdet? Und wie sieht es mit den Geschlechtern aus?

So wie auch bei der nicht-saisonalen Depression sind Frauen häufiger betroffen, sogar doppelt so häufig wie Männer. Die Patienten, die zu uns in die Ambulanz kommen, sind meistens zwischen 25 und 65 Jahre alt. Es dürfte also so sein, dass es eher eine Erkrankung der arbeitenden Menschen ist, weil es sehr stark um Tag-Nach-Rhythmus geht und das Aufstehen gegen die innere Uhr. Wenn man im Winter einfach später aufstehen kann, wenn es hell wird und sich so den äußeren Gegebenheiten anpasst, dann würde die Herbst-Winter-Depression wahrscheinlich weniger Schwierigkeiten bereiten. Auch ist es wahrscheinlich in gewisser Weise von der Natur gewollt, dass man im Winter weniger aktiv ist, um Reserven zu sparen. Das Arbeitsleben erfordert allerdings, dass wir Sommer und Winter gleichermaßen funktionieren.

Im Zusammenhang mit der Herbst-Winter-Depression spricht man oft von der Lichttherapie. Wie sieht sie aus? Welches Licht wird verwendet?

Man sollte helles, weißes, Licht verwenden, das dem Tageslicht am ähnlichsten ist. Die Lampe sollte 10.000 Lux in einer Entfernung von zumindest 50 Zentimetern haben. Gedacht ist, dass die Patienten am Vormittag die Lichttherapie machen, sich  die Lampe auf den Tisch stellen und sich davor beschäftigen wie zum Beispiel Lesen oder Frühstücken. Die Lichttherapie bewirkt, dass der Melatoninspiegel in der Früh sinkt. Deswegen sollte sie auch nur in der Früh durchgeführt werden. 30 bis 60 Minuten, je länger, desto besser. Nach 14 Uhr sollte man die Lichttherapie nicht mehr verwenden, weil gegen Abend der Melatoninspiegel wieder ansteigen muss, damit man gut schlafen kann. Die Lichttherapie ist quasi ein externer Zeitgeber. Das Licht, das wir ansonsten von Draußen bekommen, bekommen wir hier künstlich, um den Melatoninspiegel zu synchronisieren. Zusätzlich kann Licht auch den Serotoninspiegel steigen lassen. Das ist auch der Grund, warum Patienten, die nicht nur unter einer saisonalen, sondern unter einer ganzjährigen Depression leiden unter anderem mit der Lichttherapie behandelt werden

Wo bekommen Betroffene diese Lichttherapiegeräte?

Walking im Wald bei herrlichem Sonnenschein
Walking im Wald bei herrlichem Sonnenschein © (c) Smileus - stock.adobe.com (Smileus)

In Elektrofachmärkten und auch in Medizinbedarfgeschäften. Es ist aber leider immer schwerer und undurchschaubarer, herauszufinden wie hoch die Lichtintensität tatsächlich ist. Auf den Verpackungen steht leider oft nur 10.000 Lux, aber nicht in welcher Entfernung das gilt. Und das ist ja eigentlich das Wichtige. Die günstigsten Geräte starten bei 400 Euro. Viele Patienten haben bereits Geräte, sollten diese zu schwach sein, steht zum Beispiel 10.000 Lux bei 30 Zentimetern, dann können die Patienten sie nutzen, indem sie näher und länger davorsitzen. Es können also auch schwächere Lampen helfen.

Was kann man abseits einer Lichttherapie selbst unternehmen?

Viel Bewegung im Freien, Sport, Wandern, schnelles Gehen oder Laufen - das wäre das Ideale. Ansonsten sollte man in Büros und auch Zuhause, helles Licht installieren. Man kann es schon schummrig und gemütlich haben, aber es sollte auch einige Räume geben, wo man wirklich auch beim Arbeiten ein sehr helles und kräftiges Licht hat. Das macht munter und das tut gut, obwohl es auf den ersten Blick auch ungemütlich erscheinen kann.

Sollte man sich auch Zeit zur Selbstfürsorge nehmen?

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Ja, sofern es möglich ist, auf jeden Fall. Es gibt übrigens auch Studien zur antidepressiven Wirkung von Omega 3-Fettsäuren. Sie wirken, wenn der EPA-Anteil der Fettsäuren sehr hoch ist, antidepressiv. Empfehlenswert wäre es, ein- bis zweimal in der Woche guten Fisch zu essen, der reich an diesen gesunden Fettsäuren ist, denn es gibt gewisse Anzeichen, dass Entzündungen im Körper, auch wenn sie schwach sind und in Blutbefunden kaum sichtbar, zu Depressionen führen können. Omega-3-Fettsäuren wirken anti-entzündlich und über diesen Umweg auch antidepressiv.