Marion Stippichs Stimme ist klar und resolut. Sie ist eine Frau, die es gewohnt ist, der Angst den Zahn zu ziehen, medizinische Fachbegriffe in die Sprache der Patienten und Angehörigen zu übersetzen und vor allem immer wieder zu erklären, ohne dabei müde zu wirken. Manchmal verstummt sie aber. Nämlich dann, wenn die Lichter gedimmt und die Alarme an den lebenserhaltenden Maschinen leiser gestellt werden. Wenn ein Kreuz ins Zimmer gebracht wird und da einfach nur eine Hand ist, die gehalten werden muss. Marion Stippich arbeitet seit 40 Jahren in der Intensivpflege am Klinikum Klagenfurt. 53 Intensivbehandlungsbetten liegen unter der pflegerischen Leitung der 58-Jährigen. Hier in der Intensivstation, zwischen den Monitoren, Schläuchen und lebenserhaltenden Maßnahmen, ist der Tod Teil des Lebens.
Anhaltende Trauerstörung
„Wir haben auch in der Hochphase der Pandemie im Covid-Bereich Angehörige unter Aufklärung und Anleitung sämtlicher Hygienemaßnahmen vereinzelt zu den Sterbenden gelassen“, sagt die Pflegeleiterin. Zu katastrophal seien die Folgeerscheinungen, wenn keine letzten Worte, geflüsterten Versprechungen, kein finales Vergeben mehr möglich ist. Infolge auch kein Begreifen oder Verarbeiten. In Fachkreisen warnt man bereits vor der Zunahme psychischer Störungen wie der anhaltenden Trauerstörung. „Es hinterlässt ein Trauma, wenn man geliebte Menschen nicht mehr sieht.“All jene Patienten, die keinen Besuch empfangen konnten, wurden am Klinikum Klagenfurt mithilfe von iPads Audio-Dateien der Liebsten vorgespielt. Botschaften der Hoffnung. Wir denken an dich. Wir sind immer bei dir. Alles wird gut. „Bei einer jungen Patientin dachten wir, dass sie weder die Intensivstation noch das Krankenhaus überhaupt je verlassen wird.“Gefühlt hundert Mal spielte man der im Tiefschlaf Liegenden die Aufnahmen ihrer Töchter und des Ehemanns vor. „Mama, weißt du noch als wir da spazieren waren? Wie wir gelacht haben?“ Im Pflegebericht finden sich immer wieder Einträge wie „Patientin lächelt“. Mittlerweile befindet sich die Frau in Reha. Immer wieder siegt auch das Leben.
"Es geht um ethische Entscheidungen"
Rudolf Likar, Abteilungsvorstand der Intensivmedizin im Klinikum Klagenfurt ist einer von jenen Menschen, die den Abschied von Covid-Sterbenden ermöglichen. „Es ist ein extrem wichtiger Akt“, so der Arzt, dessen Metier sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt hat. „Heutzutage stößt die Intensivmedizin oft an ihre Grenzen, weil es um ethische Entscheidungen geht.“
Als Arzt auf der Intensivstation brauche er ein Therapieziel, eine Prognose und eine Verbesserung der Lebensqualität. „Wenn ich das nicht erreichen kann, darf ich keine weiteren Schritte setzen. Man muss das Sterben auf der Intensivstation auch zulassen. Ich darf nur das Leben verlängern und nicht das Sterben.“
Der Lebensphilosophie nachspüren
Hat der Patient keine Patientenverfügung hinterlassen, ist das der Zeitpunkt, wo Rudolf Likar mit den Verwandten spricht und versucht, der Lebensphilosophie des Menschen nachzuspüren. Zuerst sagt er jedoch immer: „Keine Angst, Sie müssen nicht entscheiden, wir Ärzte entscheiden.“ „Die Angehörigen müssen unseren Gedanken folgen können und verstehen, dass wir nur das Beste für den Betroffenen wollen, auch wenn das bedeutet, dass er stirbt“, so der Intensivmediziner, der sich jedes Jahr am Berg Athos erdet. „Ich bin gläubig, aber nicht im Sinne des klassischen Kirchenläufers, sondern ich glaube an eine tiefe Kraft“, sagt er und schildert wie Sterbende auf den letzten Besuch ihrer Liebsten warten, um gehen zu können. „Ich habe viele Menschen getroffen, die sich nicht vor dem Tod fürchten. Man sieht, dass viele mit Freude gehen. Ganz entspannt, obwohl sie schwer krank sind.“Deswegen plädiert Likar auch für einen offeneren, vielleicht auch alltäglicheren Umgang mit dem Tod. „Heuer sind ja nicht einmal die Allerheiligenfeierlichkeiten erlaubt. Wie sollen die Menschen verstehen, dass der Tod ein normaler Teil des Lebens ist, wenn man Tote nur noch im Fernsehen sieht? Wir müssen den Tod wieder ins Leben zurück bringen.“
Im Warteraum der Grazer Bestattung: Eine alte Dame sucht mit einem Plastiksackerl mit den Kleidern des Verstorbenen in den Händen die richtige Tür, um sie abzugeben. Als sie sie nicht findet, wendet sie sich leise unter dem Mund-Nasen-Schutz vor sich hin murmelnd, an den Portier.
"Trauer stieß auf Unverständnis"
Wenig später erscheint Waltraud Fischer, der Tod ist in ihrem Leben aus beruflicher Sicht omnipräsent. Mit einem lebensbejahenden Lächeln bittet die Bestatterin in ihr Büro, wo sich die 57-Jährige in Zeiten wie diesen hinter einer Plexiglasscheibe um alles kümmert. In Gesprächen, die bis zu zwei Stunden dauern, wird alles besprochen, was einen würdigen Abschied betrifft: Parte, Blumen, Pfarrer, Verabschiedung.
Seit 20 Jahren ist Fischer in diesem Metier tätig, doch 2020 war auch für sie herausfordernd. „Im März war es schlimm, die Menschen haben sich nicht hinaus getraut und erst recht nicht zu uns. Trauer stieß auf Unverständnis“, erinnert sich die Bestatterin zurück. „Zu Beginn hat es primär Einäscherungen gegeben. Damit mussten unsere Mitarbeiter draußen bei den Angehörigen umgehen.“
"Ein Grab, eine Blume nachwerfen"
Aufgrund der sich immer wieder verändernden Auflagen mussten die Bestattungsunternehmen Aufbahrungen und Verabschiedungen ganz neu schaffen. „Im März durften nur wenige bis gar keine Leute anwesend sein oder sie waren in Quarantäne oder Risikopatienten, da haben wir einen Livestream eingeführt, sodass sie sich bei der Zeremonie zuschalten können.“ Auch Waltraud Fischer ist überzeugt, dass der Mensch ein letztes Abschiednehmen braucht: „Beerdigungen gehören zur Trauerbewältigung. Ein Grab, eine Blume nachwerfen. Es braucht diesen letzten Akt, sonst ist es nicht abgeschlossen.“