Eines war zu Beginn der Pandemie schnell klar: Zwischenmenschliche Beziehungen verändern sich. Es wurde viel spekuliert – von steigenden Scheidungsraten bis hin zum Babyboom. Konkrete Zahlen fehlten aber. Das nahm Soziologin Barbara Rothmüller zum Anlass, gemeinsam mit der Sigmund-Freud-Universität Wien und dem Kinsey-Institut der Indiana University eine Erhebung in Österreich und Deutschland durchzuführen.
Paare fühlten sich am wohlsten
Entgegen der Annahme, gemeinsame Isolation würde zu heftigen Beziehungskrisen führen, gab ein Viertel der Befragten an, weniger Konflikte ausgefochten zu haben. „Viele haben erst entdeckt, dass die Anspannung in ihrer Beziehung aus dem ständigen Alltagsstress kommt. Diese war in der Krise oft reduziert“, sagt Rothmüller. So hätten viele Menschen mehr Ressourcen für lange Gespräche und gemeinsame Abende gehabt. Die Soziologin nimmt an, dass sich das auch langfristig auswirken könnte. Denn einige Menschen haben während der Krise ihre Prioritäten stark überdacht. „Viele haben sich gefragt, welchen Preis man zahlt, wenn die Beziehungen unter dem Job leiden.“
Monogame Beziehungen nahmen zu
Außerdem hinterfragten viele Menschen die verschiedenen Beziehungen in ihrem Leben. „Viele Partnerschaften sind durch die Krise überraschend ernst geworden“, sagt Rothmüller. So sind Paare spontan – wenn auch nur vorübergehend – zusammengezogen. Auch neigten viele der Befragten dazu, ihre Beziehung zu monogamisieren.
„Verlässlichkeit ist durch die Angst vor einer Ansteckung sehr wichtig geworden“, sagt Rothmüller. Das hatte auch zur Folge, dass sich viele Menschen mit aktivem Sexleben und wechselnden Partnern auf eine Person festlegten. Den positiven Auswirkungen gegenüber steht die Gruppe an Menschen, die angaben, während der Krise unter starkem Stress und auch Gewalt gelitten haben. So gaben neun Prozent der Befragten an, zu Hause vermehrt psychische Gewalt zu erleben.
Singles fehlte der körperliche Kontakt stark
Schwierigkeiten im Umgang mit der Situation hatten oft auch jene Menschen, die während dieser Zeit Single waren. 90 Prozent gaben an, vor allem körperliche Berührungen zu vermissen. „Kleine Gesten, wie die Umarmung zur Begrüßung, sind weggefallen. Dadurch haben viele erst gemerkt, wie wichtig dieser kurze körperliche Kontakt ist, um Vertrauen aufzubauen“, sagt Rothmüller. Vor allem die unter 30-Jährigen waren durch die Einsamkeit stark belastet. 58 Prozent der 21- bis 30-Jährigen empfanden ihr Sozialleben als trostlos und fühlten sich isoliert.
Für einen Teil der Singles brachte die Krise aber auch ein Gefühl der Entspannung mit sich. Sie fühlten sich losgelöst von dem sonst vorherrschenden Druck, ein aktives Sozial- und Sexleben führen zu müssen.
Ob sich die Krise auch in Zukunft auf die Art, wie wir Beziehungen führen, auswirkt, gilt es laut der Soziologin abzuwarten. Festhalten kann man bisher, dass viele Menschen vorsichtiger geworden sind, wenn es darum geht, sich auf jemanden einzulassen. Das zeigt die Wahrnehmung eines neuen Distanzgefühls, das 80 Prozent der Studienteilnehmer angaben. Diese Gruppe sagte, sich unwohl zu fühlen, wenn Leute auf der Straße zu wenig Abstand zueinander halten oder Menschen in neueren Filmen und Fernsehsendungen sich umarmen. „Die Krise hat auf jeden Fall radikale Veränderungen mit sich gebracht – positive wie auch negative“, sagt Rothmüller.