36 TageUnterricht zu Hause: Dabei sind viele Eltern und Kinder an ihre Grenzen gestoßen. Das kann auch Kinder- und Jugendanwältin Denise Schiffrer-Barac bestätigen. In nur einem Monat hat ihr Team 766 Anfragen von Familien bearbeitet. „Wir haben in den letzten Wochen in unseren Beratungsgesprächen gemerkt, dass Eltern zunehmend überlastet sind“, sagt Schiffrer-Barac. Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass Eltern in den letzten Wochen zusätzlich die Rolle des Pädagogen übernehmen mussten.
Aufgabenbereiche vermischen sich
Die Tatsache, dass Eltern gerade täglich den Spagat zwischen verschiedenen Aufgabenbereichen bewältigen, wirkt sich auch auf die Kinder aus. „Bei Kindern sorgt das für Verwirrung. Bereiche, die normalerweise aus gutem Grund getrennt sind, vermischen sich. Zusätzlich fehlt es Kindern an benötigter Struktur und Routine“, meint Schiffrer-Barac.
Jetzt gerade sei es umso wichtiger, auf die Bedürfnisse der jungen Menschen zu achten: „Kinder sind nicht nur unsere Zukunft. Sie sind unsere Gegenwart. So wie wir jetzt mit unseren Kindern umgehen, so wird die Zukunft aussehen“, betont Schiffrer-Barac. Klar sei: Alle Kinder brauchen zum Lernen Unterstützung und Anleitung. Damit dürfe man junge Menschen auf keinen Fall alleinlassen.
Eine Studie widmet sich dem Lernen zu Hause
Aber es konnten auch positive Entwicklungen in den letzten Monaten verzeichnet werden: Um herauszufinden, wie es den Schülern konkret mit dem Lernen zu Hause geht, führt ein Forschungsteam der Bildungspsychologie, Universität Wien, eine Studie durch, an der Schüler ab der 5. Schulstufe teilnehmen können. Positiv trat dabei hervor, dass zwei Drittel angaben, sich trotz der Umstände wohlzufühlen. Und sogar 80 Prozent gaben an, positiv in die Zukunft zu blicken. „Wir müssen aber beachten, dass diese Studie nicht repräsentativ ist“, sagt Christiane Spiel, eine der StudienleiterInnen. Denn die Teilnahme basierte auf Freiwilligkeit und fand online statt. Daher sei davon auszugehen, dass Schüler, die keine entsprechenden Geräte zur Verfügung hatten oder sich ohnehin schon überfordert fühlten, nur selten an der Befragung teilnahmen.
Dennoch zeigte die Studie auf, dass Selbstorganisation ein wichtiger Faktor dafür ist, ob das Lernen zu Hause gelingt. „Kinder und Jugendliche brauchen die Routine des Schulalltags. Die Lehrer holen normalerweise ihre Schüler regelmäßig in ihrer Konzentration zurück. Wenn das wegfällt, spielt die Fähigkeit zur Selbstorganisation eine zentrale Rolle.“ Hier sieht die Bildungspsychologin auch eine große Aufgabe für eventuelle Sommerkurse. Dort gäbe es die Möglichkeit, mit Schülern, die sich jetzt überfordert fühlen, Selbstorganisation einzuüben. So könnte man sie gut für kommende Herausforderungen wappnen und ein weiteres Vergrößern der Bildungsschere abfedern.
Erfolgserlebnisse sind dringend notwendig
„Wir haben in Österreich ein System, in dem die familiäre Herkunft auch Leistungsunterschiede erklärt“, sagt Spiel. „Grundsätzlich hat die Schule die Aufgabe, das auszugleichen. Wenn die Schule wegfällt, sehe ich die Gefahr, dass diese Ungleichheit größer wird und bei vielen zu Mutlosigkeit führt.“ Beide Expertinnen finden eine Rückkehr zum Regelunterricht wichtig. Christiane Spiel sieht bei einer Ausdehnung des Unterrichts zu Hause die Gefahr, dass Lernmotivation verloren gehe. Es bestehe bei regelmäßigen Misserfolgen die Gefahr, dass die Kinder mutlos werden und sich nichts mehr zutrauen. Jetzt brauche es einen geregelten Ablauf, mit der Möglichkeit auf Erfolgserlebnisse.
„Wir benötigen wieder ein Stück Normalität“, meint Schiffrer-Barac. „In der jetzigen Situation sind Eltern wie Kinder emotional angeschlagen. So wird jede kleine Herausforderung zu einer großen Hürde.“ Eine Verlängerung des regulären Schuljahres in den Sommer hinein komme für sie nicht infrage. Es sei wichtig, Eltern wie Kindern jetzt eine Erholungsphase sowie passgenaue Betreuungsangebote in Aussicht zu stellen. Sommerkurse erachtet sie dort für sinnvoll, wo Kinder dringend Unterstützung benötigen.
Die Kinder in den Mittelpunkt stellen
Aber was ist von diesem Schuljahr noch zu erwarten? Die verbleibenden regulären Schultage sollten nicht ausschließlich dazu dienen, liegen gebliebenen Lehrstoff aufzuarbeiten, rät Schiffrer-Barac. Vielmehr sei es wichtig, das in den letzten Wochen Erlebte mit den Kindern und Jugendlichen zu verarbeiten. „Kinder werden sich aus dieser Zeit nicht daran erinnern, welcher Schulstoff durchgenommen wurde. Sie werden sich erinnern, wie wir sie unterstützt haben.“