Natürlich bleiben wir zu Hause. Natürlich machen wir Homeoffice, kochen, putzen, kaufen für Oma ein und unterrichten und betreuen unsere Kinder und Jugendlichen, und halten sie von ihren Freunden fern! Da können sie noch so heulen und es an uns auslassen. Wir sind ja keine „Lebensgefährder“.
Es ist natürlich nicht leicht. Wenn wir alle grantig, verzweifelt oder einfach nur erschöpft sind, ist es sogar hart. Wenn wir die Kinder so leiden sehen, fragen wir uns schon manchmal, ob die Maßnahmen nicht ein bisschen … Aber dann denken wir wieder an Oma und Opa und geben alles, was da ist. Liebe, Zeit, Geld. Versprochen!
Einen Sauerteig brauchen wir wie einen Kropf
Was da ist, wird jetzt halt nicht mehr. Geld zum Beispiel wird jetzt nur beim Amazon-Boss mehr. Gehälter brechen weg, Förderungen kommen zu spät oder gar nicht, Lebensgrundlagen lösen sich in null Komma nix auf. Zeit haben wir auch nicht so viel, auch wenn man uns weismachen will, dass jetzt die Stunde des selbst gefütterten Sauerteigbrotes und der anspruchsvollen Strickmuster ist.
Ohne Oma, Putzfrau, Schule und Schulkantine wird uns Eltern gerade so gar nicht fad. Einen kapriziösen Sauerteig als zusätzlich zu fütterndes Mäulchen können wir jetzt gebrauchen wie einen Kropf. Immerhin einkaufen dürfen wir, spazieren und mit dem Hund raus. Wir applaudieren den Systemerhaltern, lauschen klugen Virologen und waschen uns die Hände. Unsere tägliche Pressekonferenz macht uns Mut, die Zahlen gehen zurück, wir freuen uns, dass wir in Babyschrittchen auf die Normalität zutapsen dürfen.
Wem ist der vertrottelte Babyelefant eingefallen?
Wir bewundern den energischen Schritt der immerselben Entscheidungsträger, die hinter ihre Pulte treten und uns durch den Spuckschutz die neue Normalität erklären. Die verordneten Masken haben wir schnell aus lustigen Stoffen genäht. Leider sind sie heiß und jucken, weswegen wir jetzt ständig die Hände im Gesicht haben. Der Handel darf vorsichtig öffnen. Zum Obi trauen wir uns aber nicht, weil wir sonst auf Facebook für unsere Tomatenpflanzerln gegeißelt werden. Außerdem fragen wir uns, wem der vertrottelte Babyelefant eingefallen ist.
So ganz nebenbei erfahren wir, dass es keine Schande sei, seine Kinder betreuen zu lassen, wenn es gar nimmer anders geht. Wir horchen auf. Nur ein kleines k trennt die Schande der Kinderbetreuung davon, keine zu sein, und wir fragen uns, ob das kleine k erst nachträglich in den Kopf des Entscheidungsträgers gekommen ist. Außerdem: Wer definiert „gar nimmer“? Ist unser Beruf systemrelevant? Das entscheiden im Notfall Kindergärtnerinnen und Bürgermeister, die uns schroff abweisen.
Kindergärten bleiben eine Art Luxus
Wir trauen uns nicht, unsere Kinder abzugeben, sei es aus Angst vor Corona oder vor Scham. Wir fragen uns, wie das die systemrelevanten Mamas im Lebensmittelhandel oder Pflegebereich packen, wo der Frauenanteil ja 70 beziehungsweise 80 Prozent beträgt. Hoffentlich haben die alle Papas bei der Hand, die brav sind und nicht allzu beschäftigt mit ihrem eigenen Homeoffice, denken wir. Der Wettbewerb, wer alles am besten hinkriegt und trotzdem noch lachen kann, ist jedenfalls voll im Gange.
Unser neuer Lehrerjob ist oft nervig, teilweise lustig, selten gedankt, jedenfalls aber unbezahlt. Wenn wir unsere Kinder bis Juli nicht erschlagen haben, feiern wir das. Ab Mai wird es eine Art homöopathischen Unterricht geben, und wir sind neugierig, wie sich der mit unserer schulmedizinischen Arbeitswelt vertragen wird. Aber, hey: besser eine verdünnte Schule als gar keine. Dass wir nicht selbst benoten dürfen, wenn wir schon selbst unterrichtet haben, kränkt uns. Kindergärten bleiben eine Art Luxus. An den Sommer trauen wir uns gar nicht zu denken, ohne Freibäder, ohne Fußball, ohne Sportcamps, ohne Großeltern, ohne Freunde besuchen.
Wo werden wir unsere Kinder hinsperren?
Den Medien entnehmen wir, dass es jedes EU-Land anders macht, und wundern uns, dass unsere Kinder in Österreich viel gefährlichere Virenschleudern sind als in Dänemark oder Schweden. Aber wir trauen uns den Kurs nicht anzuzweifeln, sonst fliegt uns gleich die Lebensgefährder-Keule um die Ohren. Inzwischen wissen wir, dass Segelfliegen, Golfspielen, Reiten nicht lebensgefährdend ist, und vielleicht sollen ein paar Millionen keimfreie Deutsche auf Urlaub kommen dürfen. Wo wir unsere 1,72 Millionen Virenschleudern dann hinsperren, um die Touristen vor Corona zu schützen, wissen wir noch immer nicht. Das Wort Babyelefant können wir nicht mehr hören.
Kluge Virologen prophezeien, dass es vielleicht bis 2023 dauern wird. Schön langsam geht uns beim Durchhalten das Geld und beim Kinderbespaßen der Schmäh aus. Wir stehen vor leeren Spiel- und Sportplätzen und fragen uns, ob wirklich gar nichts möglich ist. Fällt den Experten da gar nichts ein? Kleingruppen oder Desinfektionsmaßnahmen? Leider nein. Sicherheitshalber ist alles verboten. Wir hören von Polizisten, die Jugendliche schikanieren, Kinder von Bäumen pflücken und Eltern Strafmandate ausstellen. Jugendliche beginnen, sich heimlich zu treffen, und müssen sich dafür beschimpfen lassen, obwohl sie dabei verantwortlicher Abstand halten, als wir es bei Risikogruppen im Supermarkt gesehen haben. Familien organisieren sich klammheimlich Betreuungsgemeinschaften. Was sind das eigentlich für Experten, die unsere Entscheidungsträger beraten?
Kinderwohl hinter dem Wohl der Golfspieler?
Langsam haben wir den Verdacht, dass manche Maßnahme zu einfach für ein komplexes Problem ist. Sind Kinder und Jugendliche als große, schnell isolierbare Infektionsgruppe kostengünstig aus dem Verkehr gezogen worden? Weil es organisatorisch und wirtschaftlich am einfachsten ist und wir Eltern aus Liebe zu unseren Kindern eh funktionieren? Ohne mächtige Lobby? Warum muss sich das Wohl von Kindern und Jugendlichen hinter dem Wohl der Golfspieler und Segelflieger anstellen?
Wir verlangen ja keine Wunder, aber wir hätten einfach nur gern das Gefühl, als Leidtragende registriert zu werden! Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, fasst zusammen: „Die Kinder und Jugendlichen werden nicht zufällig vergessen. Sie sind derzeit ökonomisch nicht verwertbar.“ Vielleicht geht es nicht nur um Oma und Opa, sondern auch ein bisschen ums Geld?
Unser Zusammenhalt, unsere Liebe zueinander sind ein unbezahlbares Potenzial, aber wir sollten nicht vergessen, dass es unbezahlt ist. Vielleicht haben unsere Entscheidungsträger nur eine einzige Erfahrung mit diesem Potenzial: die, es auszubeuten. Ich fürchte, wir werden von Menschen regiert, die unsere Lebensrealität einfach nicht kennen. Sollten wir ihnen unsere Kinder mal vorbeischicken und sie mit den Konsequenzen ihrer Maßnahmen konfrontieren? Mit ein bisschen Abstand sollte das schon gehen. Ein Babyelefant reicht vollkommen!
Gertraud Klemm