Die wahren Abenteuer sind im Kopf – und dort als latente Absichtserklärung abgelegt. Sollt ma net ... die alten Badezimmerfliesen rausstemmen? Die abgegriffenen Wohnzimmerwände neu streichen? Die Steckdose versetzen? „Mach es zu deinem Projekt!“, feuert die einschlägige Werbung den visionären Heimwerker an.
Und zufälligerweise stapelt sich alles, was man für die Renovierung der Lebenskulisse braucht, in den Regalen der Baumärkte: Werkzeug vom Hammer bis zum Pinsel, Baumaterial vom Holz bis zum Zementsack, Maschinen vom Seitenschleifer bis zur Rüttelplatte. Dazu noch Schrauben, Nägel und Beilagscheiben, Samen, Farben, Lampen und Duschkabinen. Und Blumenerde - nach dem Klopapier die neue Leitwährung des Hamsterkaufs. Eigentlich alles. Denn: „Es gibt immer was zu tun!“
Glaubensgemeinschaft der Selbermacher
Der Alltag als Endlosbaustelle. Was für normale Menschen nach nüchterner Hoffnungslosigkeit klingt, tönt für Bastler und Bassenabaumeister wie eine reizvolle Glücksverheißung: hämmern, bohren, schleifen und schrauben bis in alle Ewigkeit. Wären die Heimwerker eine anerkannte Glaubensgemeinschaft, die hohen, kunstlichtdurchfluteten Baumärkte mit ihren endlosen Gangfluchten, den Erlösung verkündenden Geräteparks und dem barmherzig blinkenden LED-Lamperlsortiment wären ihre Kathedralen. Altarräume der Selbstverwirklichung.
Umso stärker wirkt eine plötzliche Schließung wie vor vier Wochen im Rahmen der Maßnahmen gegen das Coronavirus. Ausgerechnet jetzt! Ausgerechnet im Frühling, ausgerechnet zu Beginn der Gartensaison, die in den letzten Jahren zum Wachstumstreiber heranblühte. So stiegen die Umsätze in den klassischen Baumärkten wie Obi, Hornbach oder Bauhaus 2018 um 2,2 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro. Die gesamte Branche, zu der auch Baustoffhändler wie Lagerhaus, Hagebau, Hellweg oder Quester zählen, wuchs um 3,1 Prozent auf 4,85 Milliarden Euro. Aber das Plus ist vor allem preisgetrieben.
Unverändert geblieben ist die Begeisterung der Österreicher fürs Heimwerken. Echte Baumarktprofis kennen die Drehmoment-Maxima diverser Schleifbohrschrauber besser als die Geburtsdaten ihrer Kinder, können die Firmennamen der Innendispersionshersteller rückwärts buchstabieren und ertasten Laminatoberflächen im blinden Drüberstreichen. Und auch die heimatliche Werkstatt ist hochgerüstet wie ein russisches Atom-U-Boot. Nur: Das alles reicht nie!
Treibjagd auf Werkzeug aller Art
Gierigen Blicks durchstreift der Werkzeugjunkie die Hallen, durchkämmt das Angebot an Kreis-, Kapp-, Gehrungs-, Stich-, Laub- und Lochsägen, durchschwimmt das Meer an Sonderangeboten. Hier findet er alles, was er nie gesucht hat, schon gar nicht braucht und dann doch kauft. Kofferweise Schraubensets beispielsweise, kilometerlange Isolierbandrollen, Großpackungen von Arbeitshandschuhen, ein Dichtungsringsortiment, mit dem man nicht nur den tropfenden Wasserhahn im Badezimmer, sondern die Finnische Seenplatte trockenlegen könnte.
Das Ziel: Alles selber machen. Der junge Jürgen Habermas diagnostizierte schon 1958 eine „Regression ins Vorindustrielle“ durch die „Spurlosigkeit der entfremdeten Erwerbsarbeit“ und sprach despektierlich von einer „Bastelbewegung“. So können nur schraubfaule Philosophen denken, nicht aber verputzeifrige Heimwerker.
Wie eine Sucht
Sie frönen dem permanenten Wiederaufbau. Ziegel wegstemmen und wiederaufmauern, Kabel rausziehen und reinverlegen, Verblendungen anschrauben und Schrauben verblenden: Das hat wenig mit einer akuten Mangelbekämpfung zu tun, sondern ist teilweise ein Wohlstandsphänomen, meist Ergebnis einer Suche nach sinnstiftender Freizeitbefüllung und hat jedenfalls hohes Suchtpotenzial.
Und dann schließen die „Do it yourself“-Dealer plötzlich. Shutdown! Entsprechend groß waren die Entzugserscheinungen. Entsprechend groß der Ansturm vergangenen Dienstag.
Klaus Höfler