Es gibt Menschen, an denen prallen alle Widrigkeiten des Lebens irgendwie ab. Egal, wie schlimm es kommt, sie bleiben seelisch heil. Resilienz nennt die Wissenschaft diese psychische Widerstandskraft. Der deutsche Hirnforscher Raffael Kalisch untersucht am Resilienz-Zentrum der Universitätsmedizin Mainz seit vielen Jahren alle Facetten dieses Phänomens. Und er hat in Zeiten von Corona tröstliche Nachrichten parat: „In der Hirnforschung hat man lange geglaubt, Resilienz sei so eine Art Wesens- oder Charakterzug. Entweder man hat sie oder man hat sie nicht. Es stellt sich aber mehr und mehr heraus, dass es sich dabei eher um dynamische Lern- und Anpassungsprozesse handelt, die dafür verantwortlich sind, dass manche Menschen trotz Traumatisierungen psychisch gesund bleiben.“
Anders gesagt: Als Stehaufmännchen wird man nicht geboren. Freilich gebe es auch erbliche Faktoren und stabile Wesenszüge, die hier eine Rolle spielen – „aber das ist nur ein Teil des Ganzen“. Man könne deshalb bisher auch nicht gut vorhersagen, ob jemand, wenn er in eine Krise gerät, gut durch diese Krise kommen wird.
Nehmen wir etwa den Typus des „Hardys“, um einen Begriff der frühen Resilienzforschung zu verwenden: „In bekannten Weltkriegsfilmen wie ,Die Brücke von Arnheim‘ ist das der Soldat, der von Anfang an nur Katastrophen erlebt, bei dem man aber immer weiß, dass er am Ende ganz entspannt vor uns stehen wird, weil er einfach die überlegene Persönlichkeit ist“, sagt Kalisch und ergänzt: „Für die Existenz solcher Hardys gibt es nicht allzu viele Hinweise in der Forschung.“
Die Botschaft lautet: Menschen verändern sich. Am Ende könnten also gerade die vermeintlich Schwachen, die Schüchternen, die wirklich Starken in Zeiten von Corona sein? „Die Hoffnung gibt es“, sagt der Wissenschaftler.
Freilich gebe es auch Risikofaktoren: „Wer jetzt schon sehr ängstlich ist, läuft tatsächlich Gefahr, durch die Krise noch ängstlicher zu werden. Aber das ist kein festgelegtes Schicksal. Und manchmal entdecken gerade diese Menschen in der Krise Kräfte in sich, die sie vorher gar nicht erahnt hätten. Und jene, die sich bisher als besonders hart und stabil eingeschätzt haben, könnten in der Krise zusammenbrechen.“
Das Schlüsselwort heißt dabei Bewertung. „In der Emotionspsychologie, die versucht zu erklären, wie Angst und Stress entstehen, gilt das Dogma der Bewertungstheorie“, sagt Kalisch. Gemeint ist damit: Jede Situation, die eine Bedrohung für uns darstellt, muss von uns bewertet werden: hinsichtlich der Größe der Bedrohung und wie man damit umgehen kann. „Diese Bewertung bestimmt die Stärke und Form der emotionalen Reaktion. Sie ist aber nicht notwendigerweise von der Situation festgelegt und vorgegeben“, erklärt der Forscher. Man habe da viele Freiheiten. „Sie können sich dazu entscheiden, die Dinge auch anders zu sehen, als es auf den ersten Blick zu sein scheint, und positive Aspekte an einer Situation entdecken. Sie können lernen, die Situation zu akzeptieren oder auf neue Lösungen zu kommen.“
Auch wenn in einer Gesellschaft der Grundsatz herrscht, dass man darunter leiden muss, wenn etwas Schlimmes passiert, müsse das nicht zwangsläufig so sein. „Wir können uns andere Bewertungen erlauben. Und wahrscheinlich ist genau das ein Erfolgsgeheimnis von Menschen, die in Krisen psychisch gesund bleiben: die Fähigkeit der kreativen Bewertung“, sagt Kalisch. Was wir gerade erleben, sei in Wahrheit ein einzigartiges, großes Resilienztraining, ein Experiment für die ganze Welt. Und wer seinen Kindern jetzt vorlebt, wie man positiv mit dieser Situation umgehen kann, helfe ihnen vermutlich am besten dabei, selbst hilfreiche Grundstrategien für Krisenzeiten zu entwickeln.