Er kam zu einem ausgebuchten Kleine-Zeitung-Salon, der in den Köpfen der rund 200 Gäste noch lange nachhallen wird: Mediziner Rudolf Likar, der mit Kollegen das neue Buch „Im kranken Haus“ verfasst hat.

Likar gehört zu den kritischsten Köpfen in der Ärzteschaft, das Buch beschäftigt sich mit den Auswüchsen unseres kranken Gesundheitssystems genauso wie mit den Problemen der Patienten oder mit den Auswüchsen einer Medizin, die am Geschäftsmodell Krankheit verdient. Wir haben die 10 wichtigsten Reiz- und Schlüsselwörter, die der Mediziner aufgegriffen hat, zusammengefasst:

1 Diagnosen

Sie verlassen weder das Krankenhaus noch einen Arzt gesund, weil sie eine Diagnose zur Abrechnung bekommen. Eigentlich müsste es eine Diagnose Gesundheit auch zur Abrechnung geben - aber das gibt es nicht. Deshalb haben wir ein Krankheits- aber kein Gesundheitssystem.“

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Das neue Buch "Im kranken Haus" ist bei ueberreuter erschienen (24,95 Euro)
Das neue Buch "Im kranken Haus" ist bei ueberreuter erschienen (24,95 Euro) © ueberreuter

2 Reparaturmedizin

„Viele Menschen glauben, wenn sie etwas ersetzt bekommen, dann ist es damit getan. Dem ist nicht so. Es geht um den ganzen Körper, nicht um Teile. Siehe Wirbelsäulenoperationen: Viele denken, wenn sie operiert werden und die Wirbelsäule versteift, dann reicht das schon. Aber wenn ich die Muskulatur in dem Bereich nicht aufbaue, dann reicht gar nichts. Die Patienten haben dabei auch Verantwortung. Wir reden immer nur über Patientenrechte, aber es gibt auch Pflichten für Patienten. Wir haben de facto einen Behandlungsvertrag: Arzt und Patient sollten dabei auf gleicher Ebene sein.“

3 Komplementärmedizin

„Ich bin offen der Komplementärmedizin gegenüber, aber sie ersetzt die Schulmedizin nicht. Es muss eine Kombination sein. Ich halte nichts von Fanatikern, auf beiden Seiten. Wir wissen dass die Komplementärmedizin auch deshalb Erfolg hat, weil sie den Placebo-Effekt voll ausnützt. Beide Bereiche sollten sich ergänzen. Aber was nicht sein darf, ist, dass sich Pseudo-Heiler, die kein Wissen haben, etablieren.“

4 Placebo-Effekt

„Für die Patienten kann das der ,effektivste Effekt´ sein, für die Krankenkasse ist das der günstigste. Wir als Mediziner sollten diesen Effekt nützen, der bis zu einem halben Jahr nachwirken kann. Wir wissen heute, welche chemischen Prozesse da freigesetzt werden, wenn der Arzt zuhört, wenn er mit dem Patienten spricht. Das ist das Wichtige! Wir als Mediziner brauchen das, das ist unsere große Stärke. Das ist Heilkunst und keine Dienstleistung. Die Zuwendungsmedizin, die wir erreichen müssen. Wenn ein Patient zu mir kommt und ich schaue fünf Minuten in den Computer, habe ich natürlich keinen Placeboeffekt. Aber wenn ich mich um Patienten kümmere, mit ihnen rede, dann erreiche ich viel mehr, ich brauche zum Beispiel weniger Medikamente etc..“

Mediziner und Buchautor Rudolf Likar sprach mit Kleine-Zeitung-Redakteur Didi Hubmann über die Problematiken eines "kranken Gesundheitssystems"
Mediziner und Buchautor Rudolf Likar sprach mit Kleine-Zeitung-Redakteur Didi Hubmann über die Problematiken eines "kranken Gesundheitssystems" © (c) Juergen Fuchs (FUCHS Juergen)

5 Der Tod als Diagnose

„Wo wollen die Menschen den letzten Lebensweg verbringen?
90 Prozent wollen zu Hause sterben. Was hat die Politik gemacht? Sie hat den Pflegereregress abgeschafft, jetzt werden viele alte Menschen ins Heim gesteckt, weil es so günstiger ist, sie sterben dort. Aber die Menschen werden nicht gefragt, ob sie das wollen. Gleichzeitig wurde die Hauskrankenpflege draußen nicht gestärkt. Diese Strukturen wurden leider nicht verstärkt, damit Menschen auch zu Hause bleiben können. Alles was ein Symptom hat wird heute zur Diagnose gemacht, wir haben auch den Tod zur Diagnose gemacht.“

6 Überdiagnose

Karl Kraus hat schon gesagt: Man ist nicht gesund, man ist nur schlecht diagnostiziert. Ich kann heute mit all den Untersuchungen alles finden, auch wenn es nicht relevant ist. Da ist ein klinischer, genauer Blick gefragt. Die Patienten fordern viele Untersuchungen auch ein. Aber man muss wissen: Ein MRT kann auch nicht heilen. Die provokante  Frage, die wir uns stellen müssen: Behandle ich den Patienten, oder mache ich eine MRT (Anm.: Magnetresonanztomographie), bei der ich oft etwas finden werde. Da gehört wieder der gesunde Hausverstand her: Wo brauche ich eine Behandlung und wo die Zuwendung?

7 Technikgläubigkeit

Botox statt Gesundheit und die Leber aus dem Drucker? Provokant formuliert: Selbst wenn ich mit Botox das Gesicht aufspritze und versuche es jünger zu machen - das Gehirn bleibt alt. Da frage ich mich schon: Wo entwicklen wir uns hin, wenn nur noch die Erscheinung etwas wert ist und nicht die inneren Werte zählen? Man kann die Industrie dabei nicht nur verdammen: Die Gesellschaft erzeugt den Druck, die Nachfrage. Ich kann damit aber weder das Altern der Leber aufhalten noch das der Lunge oder des Herzens.“

8 Burnout

„Es ist auch ein Ausdruck unserer Gesellschaft. Früher ist man wegen Depressionen früher in Pension gegangen, heute wegen Burn out, dem Ausbrennen. Wenn ich aber nur eine Flamme im Leben habe und das ist der Beruf - und diese Flamme erlischt, dann bin ich natürlich im Burn-out. Deshalb sollte ich mehrere Flammen haben. Freundschaften, eine Familie, Verbindungen, dann falle ich wahrscheinlich nicht ins Burn out. Da muss sich die Gesellschaft auch ändern, es gibt noch viele andere Dinge im Leben.“

9 Gesundheit als Geschäft

„Die Krankheit ist zum Geschäft geworden, die Gesundheit leider noch nicht.“

10 Empathie

„Die Empathie ist das Wichtigste. Wenn man so wie ich im Palliativbereich arbeitet, dann lernt man viel. Ich hatte einen Patienten, der nie Danke sagen konnte. Und dann war er bei mir auf der Palliativstation, ich bin ihm gesessen, habe seine Hand gehalten, nichts gesprochen, eine halbe Stunde habe ich seine Hand gehalten. Dann hat er Danke gesagt, und ich wusste, dass er gehen wird. Darauf muss man sich aber auch einlassen können, das ist Empathie. Nichts zu reden, nur die Hand zu halten, Zuwendung so zu zeigen. Da braucht man mehr Persönlichkeit als wenn man dauernd redet. Auch das ist unsere Aufgabe, die Zuwendung, die Hand zu halten, das ist genauso Medizin. Das ist ganz wichtig. Und nicht nur ein paar Pillen zu verschreiben.“