12 Jahre nach Ihrer Brustkrebserkrankung haben Sie jetzt den Ratgeber für Krebspatienten geschrieben, den Sie damals als Kranke so sehr vermisst haben: eine Krebsfibel mit Galgenhumor, wie Sie selber sagen, die diese Dreckskrankheit, wie Sie den Krebs nennen, aus der Horrorecke herausholt. Warum braucht es so viel Abstand, bis man den richtigen Ton zum Thema Krebs trifft?
SUSANNE REINKER: Mental, psychisch und körperlich zu einer gewissen Distanz zum Fehlverhalten des eigenen Körpers zu kommen, und das ist Krebs ja, das dauert halt. Krebs-Veteranen müssen erst eine Phase hinter sich bringen, in der sie nicht die Kraft haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, es einfach nicht wollen. Weil sie wissen, wenn sie daran zurückdenken, kostet es Energie. Die Betroffenen wollen zurück in ihr Leben und darauf verwenden sie auch ihre Energie. Das aufzuarbeiten, was da schlimm gelaufen ist oder gut, das dauert. Bei mir hat es extrem lange gedauert, weil ich nach dem Jahr mit Chemotherapie, Operation und Bestrahlung auch noch fünf Jahre eine Antihormontherapie hatte. Zusätzlich hatte ich noch eine Angststörung, was auch nicht hilfreich ist, wenn man Krebs hat.
Ihr Ratgeber ist für alle Krebspatienten gedacht. Das ist mutig, gibt es doch so viele Krebsgeschichten, wie es Menschen gibt.
SUSANNE REINKER: Das sehe ich anders. Was die medizinische Behandlung angeht, muss jeder seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Es gibt ja Hunderte verschiedene Krebse, und nicht den einen Krebs, wie unsere Reaktion darauf immer vermuten lässt. Ärzte haben Hunderte Schubladen, in die sie Krebspatienten einordnen: Wo liegt der Krebs, wie schnell wächst er, wie ist er behandelbar und wie operabel? Entsprechend unterschiedlich sind auch die Therapien. Ob man nun mit seinem Schicksal hadert oder die Krankheit nur als vorübergehende Betriebsstörung des Köpers ansieht, was auch eine Möglichkeit ist: Da gibt es viele Wege. Aber wie man sich das Leben leichter machen kann trotz dieser Krankheit, wie sich Druckmacher abstellen lassen, da gibt es ganz pragmatische Tipps für alle: vom Umgang mit der Angst bis zur Abwehr unnützer Ratschläge diverser Hobbypsychologen.
Zentrales Thema Ihres Buches ist das falsche Bild, das die Öffentlichkeit noch immer von Krebs hat. Was läuft hier falsch?
SUSANNE REINKER: Es hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingegraben, dass Krebs die Krankheit mit dem sicheren Todesurteil ist. In meinem Bekanntenkreis sagen viele, Aids sei eine chronische Krankheit, von Krebs sagen sie das nicht. Warum bewerten wir die Todesfälle, die jeder in seinem Bekanntenkreis hat, höher als die Zahl der Überlebenden?
Eine Ursache dafür orten Sie im Chemotherapie-Klischee.
SUSANNE REINKER: Richtig, die gängige Meinung ist ja: Krebs ist schlimm, aber Chemotherapie ist schlimmer. Für noch schlimmer halten die Leute höchstens Folter und Tierquälerei. Bei Chemotherapie haben die Menschen automatisch ein Bild von glatzköpfigen Elendsgestalten vor sich. Daran sind auch Unmengen von Krebs-Fernsehschicksalen schuld. Ich komme selbst ja auch aus der Film- und Fernsehbranche. Wenn man im Laufe seines 40- bis 50-jährigen Zuschauerdaseins ein paar Mal im Jahr mit der typischen Krebsfigur konfrontiert wird, die zuerst dynamisch auftritt und dann mit müdem Gesicht die Perücke vom Kopf zieht, dann prägt einen das. In Filmen über Krebs sterben die Menschen auch fast immer. Es hat sich noch nicht durchgesetzt, in Filmen Menschen zu zeigen, deren Krebs heilt oder einfach chronisch ist, also manchmal Probleme macht und manchmal nicht.
Sie plädieren dafür, die Chemotherapie in Meditherapie umzubenennen, um ihr etwas von ihrem Schrecken zu nehmen, schon weil Chemie als Gegenteil von „bio“ der reinste Gruselbegriff ist. Was sagen Sie jenen, die Ihnen eine Verharmlosung der Therapie vorwerfen?
SUSANNE REINKER: Mir ist klar, dass sich Veteranen, die durch eine harte Chemo gegangen sind, durch diesen Vorschlag möglicherweise herabgesetzt fühlen – ebenso wie jene mit einer ganz schlimmen Prognose. Gleichzeitig ist Krebs die einzige Krankheit, bei der die Menschen vor der Behandlung, der Chemotherapie, fast noch mehr Angst haben als vor der Krankheit selbst. Und diese Angst macht für Krebsneulinge alles noch ein bisschen schlimmer. Und das, obwohl Chemos tatsächlich immer präziser eingesetzt werden. Es gibt Dutzende verschiedene Chemotherapien, und Haarausfall und Kotzbrech sind längst nicht mehr immer ein Muss. Außerdem gibt es supergute Medikamente gegen Nebenwirkungen. Mag sein, dass manche Betroffene eine Umbenennung in Meditherapie als Etikettenschwindel ansehen – aber über längere Zeit betrachtet, kann Sprache die Wahrnehmung verändern, und eine veränderte Wahrnehmung kann Verhaltensmuster ändern. Wenn zukünftige Krebsneulinge diese Behandlung dadurch etwas weniger angststarr angehen würden, wäre das für sie eine große Erleichterung.
Womit Sie auch keine Freude haben, sind regelmäßige Berichte über steigende Krebszahlen.
SUSANNE REINKER: Mit den üblichen Überschriften assoziiert man die Ausbreitung einer tödlichen Gefahr wie bei einer afrikanischen Infektionskrankheit, dabei steigen die Zahlen nur, weil die Früherkennung immer besser wird und wir immer älter werden.
Kampf – der Kampf gegen Krebs – ist auch so ein Wort, das Ihnen im Zusammenhang mit der Krankheit zuwider ist.
SUSANNE REINKER: Kampf klingt immer nach finaler Niederlage. Ich kann auch das Wort „Überlebende“ nicht leiden, es hat so was von „mit Wahnsinnsglück gerade noch einmal davongekommen“. Und wer sich nach dem ersten Mal als Überlebender begreift, dem zieht’s bei einem Rückfall den Boden unter den Füßen weg. Insofern bezeichne ich mich lieber als Veteranin. Ich habe einschlägige Erfahrungen mit dem Krebs gesammelt und bin zwölf Jahre danach immer noch am Leben. Kann aber durchaus sein, dass ich irgendwann erneut den Gang in den Widerstand antreten muss. Widerstand fühlt sich gut an, jedenfalls besser als jedes Schlachtengetümmel.
Sie wünschen sich auch viel mehr Veteranen, die offen über ihre Krankheit sprechen.
SUSANNE REINKER: Ja, stellen Sie sich vor, in Deutschland oder in Österreich würden sich alle, die trotz Krebs noch leben oder ihn überlebt haben, einen Tag lang rot anziehen: Stellen Sie sich einmal das Straßenbild vor! Mit einem Schlag würden alle wissen, dass man Krebs überleben kann. Den Veteranen muss man sagen: Zeigt euch – zumindest bei Klatsch und Tratsch, wenn Krebs wieder mit einem Todesurteil gleichgesetzt wird.
Und was ist die Krebsveteranen-Botschaft an die Ärzteschaft?
SUSANNE REINKER: Dass sie aufhören sollte, von Prognosen, Wahrscheinlichkeiten und Benefits für die eine oder andere Krankheit zu sprechen. Wenn Ärzte mit Prognosen hantieren, sollten sie uns sagen, dass das mehr so etwas ist wie der Wetterbericht für die nächste Woche als eine amtlich beglaubigte Überlebens- oder Sterbensurkunde.