Herr Strolz, Ihr Rückzug aus der Politik liegt schon mehr als ein Jahr zurück, letzte Woche interessierte das Karriere-Ende von Marcel Hirscher das ganze Land. Sind solche Übergänge im Leben nicht auch mit Angst verknüpft?
Matthias Strolz: Ich habe natürlich Ängste, zum Beispiel alleine im dunklen Wald. Doch beim Ausstieg aus der Politik war ich angstfrei - aber nicht sorgenfrei. Ich habe ja die Nachzahlung im Parlament gekündigt, nach zwei, drei Monaten war ich abgebrannt und habe einen Kredit aufgenommen. Aber ich habe Vertrauen: Solange der Kopf funktioniert, werde ich immer was finden. Momentan muss ich eher aufpassen, dass ich mich nicht übernehme.
Einen Neustart wagen: Wie meistert man den Wechsel von Altem zu Neuem?
Wenn du eine sehr exponierte Funktion verlässt, ist es wichtig, nicht sofort nach dem Neuen zu greifen. Marcel Hirscher macht das ganz richtig. Ich habe für mich meine Verbündeten kultiviert - einer davon ist mein Bandscheibenvorfall. Wann immer ich mich als Gschaftlhuber übernehme, kommt mein Bandscheibenvorfall und sagt: Glaubst du wirklich? Mein zweiter Verbündeter ist meine Herzensstimme: Wenn ein Projekt auf meiner Amplitude der Lebensfreude, die von null bis hundert geht, nicht mindestens 80 erreicht, dann sortiere ich es aus. Dahinzuspüren, empfehle ich jedem.
Was gilt es dabei zu spüren?
Bei jeder großen Lebensentscheidung stellt sich die Frage: Komme ich mir selbst ein Stück näher oder entferne ich mich von mir? Wenn ich mich entferne, aus Überheblichkeit, Geldgier, aus dem Wunsch, Erwartungen zu entsprechen, dann führt das einen Schritt weit in die Unzufriedenheit.
Haben Sie deshalb die Politik verlassen - weil Sie sich selbst fremd geworden sind?
Ich liebe Politik, für mich war das immer das pralle Leben, das letzte große Abenteuer, abseits vom Dschungelcamp. Ich bin ein Aufbauer, ein Pioniercharakter. Aber als die Aufbauarbeit bei Neos abgeschlossen war, war ich nicht mehr Pionier, sondern Oppositionspolitiker. Darin bin ich nicht der Beste. Ich war bei Neos zum ersten Mal gut ersetzbar, aber als Vater bin ich's nicht. Nach sieben Jahren Politik habe ich gemerkt: Jetzt braucht mich die Familie.
Wie geht's Ihnen im Wahlkampf mit der Zuschauerrolle?
Ich bin so viel unterwegs, ich bin in ein Start-up eingestiegen, ich begleite als Coach auch Führungskräfte und Spitzenpolitiker aus dem Ausland. Ich bin Autor. Ich komme gar nicht so viel zum Zuschauen, ganz selten gibt es den Moment, wo ich einen Zuruf vom Balkon hätte. Aber das habe ich mir verboten: Wenn der Altbauer geht, muss er entschlossen zur Seite treten. Ich mache ja auch noch Fernsehprojekte, im Moment drehe ich für ORF 1 eine Doku über den Tod als den besten Coach des Lebens.
Können Sie das erklären?
Nichts sortiert deine Prioritäten im Leben so gut wie der Tod. Das merken wir, wenn ein naher Angehöriger stirbt: Die Menschen beginnen, ihr Leben neu zu strukturieren, weil sie gesehen haben: Das Leben ist wertvoll. Die Sterbeforschung weiß: Am Sterbebett beschäftigt Menschen, ob sie genügend Liebe gegeben haben, ob sie ein authentisches Leben gelebt haben. Aber diese großen Lebensfragen kann man vorziehen.
Ihr Buch heißt „Sei Pilot deines Lebens“. Wie stelle ich fest, ob ich Pilot oder nur Passagier bin?
Ich glaube, diese Frage kann jeder für sich beantworten - aber nur, wenn man innehält, sich Ruhe gönnt. Für mich waren Fastenwochen hilfreich, andere können's beim Radfahren, beim Meditieren. Passagier bin ich, wenn mein Leben sich entlang der Erwartungen der anderen gestaltet. Es geht um einen Grundtonus: Habe ich das Heft des Handelns in der Hand oder bin ich permanent Opfer der Umstände?
Ist das nicht ein Luxusthema - die Möglichkeit zu haben, sich frei zu entscheiden?
Ich bin zum Schluss gekommen: Nein, das ist kein Luxusthema. Ich habe auch die Geschichte einer Kassiererin im Buch. Sie beschreibt, dass ihre Kollegin sie dafür hänselt, dass sie in ihrem Alter noch in die Abendschule geht. Am Anfang ist sie gekränkt, aber dann kommt sie zum Schluss: Ich mache das für mich. Umgekehrt stelle ich fest: Viele reiche Menschen sind in einem goldenen Käfig gefangen. Im Grunde ist jeder auf eine Grundfrage zurückgeworfen: Wer bin ich, wenn all meine sozialen Rollen abfallen?
Sie beschreiben die High Five der persönlichen Entfaltung: Welcher ist der schwierigste Schritt?
Für die meisten ist das Loslassen das Schwierigste. Idealerweise lassen wir das Alte los, um die Hände freizubekommen, doch das erzeugt Ängste. Es ist eine fragwürdige Abkürzung, wenn wir das Alte erst loslassen, wenn wir das Neue schon in Händen halten. Der nächste Schritt: sich mit der eigenen Berufung verbinden. Da helfen Fragen wie: Was kann ich gut? Was mache ich gern?
Als Politiker wurden Sie für Ihre Ausflüge in den Wald, Ihre Fastenkuren mit viel Häme bedacht. Wieso passt das nicht zum Bild des Politikers?
Ja, das hat mich mitunter gekränkt. Aber ich habe gedacht: Wenn ich nur eine Person inspirieren kann, hat es sich ausgezahlt. Über die Jahre kamen aus allen politischen Fraktionen im Parlament Leute zu mir und haben geflüstert: „Ich war auch fasten, das hat gutgetan.“ Als ich die Politik verlassen habe, sagten die Leute: „Du hast eh recht, auch mit dem Bäumeumarmen. Aber solange du da herinnen warst, mussten wir das kritisieren.“ Ich würde für jeden Abgeordneten einen Baum pflanzen, mit Namensschild (lacht). Vor jeder Sitzung müssten sie raus und Zwiesprache halten. Dadurch sind wir mehr bei uns und weniger anfällig für die Lüge.