80 Jahre, laut Geburtsschein eine Tatsache. Aber wie heißt es schon im Musical „Der Mann von La Mancha“, in dem Sie als Aldonza Ihre wohl schönste und wichtigste Rolle verkörpert haben: „Tatsachen“, sagt Don Quijote da, „sind die Feinde der Wirklichkeit.“
DAGMAR KOLLER: Jö, das war das Lieblingszitat vom Helmut. Und noch ein Lieblingszitat hat er gehabt: „Ich hasse Blödheit, besonders wenn sie sich als Tugend ausgibt!“
Das würde ihm der jetzige Wahlkampf ja fast tagtäglich bestätigen. Aber gut, wechseln wir zu Ihrem Leben, Ihrer Karriere. Sie wurden 1939 in Klagenfurt geboren. Bitte ein paar Worte über Ihre Eltern.
KOLLER: Meine Mutter war nach Kriegsende für die englischen Besatzer Dolmetscherin. Der Vater war akademischer Maler, lebte aber nicht mehr bei uns. Er war als Maler recht erfolgreich, verkaufte viele schöne Blumenbilder und Porträts, vor allem an die Besatzer. Doch uns hat er nichts davon gegeben.
Wann erwachte Ihre Liebe zum späteren Beruf?
KOLLER: Als ich fünfeinhalb war, kam ich nach Hause und eröffnete meiner Mutter: „Mama, ich werde Ballerina!“ Weil ich so begeistert war, dass es in Klagenfurt eine Kinderballettschule gab. Diese durfte ich besuchen, und bereits mit acht, neun Jahren stand ich erstmals auf der Bühne, als kleine Sari in „Gräfin Mariza“. An die Textzeile „Sari hat selber nix, macht nur einen Knicks“ erinnere ich mich noch sehr gut.
Bei einer so langen Laufbahn muss man den Zeitraffer bemühen. Sie hatten Ihren ersten Auftritt in Dortmund, die echte Karriere begann dann an der Wiener Volksoper als Mi im „Land des Lächelns“ bei einem Gastspiel in Hamburg.
KOLLER: Da habe ich gesungen und auch noch auf Spitze getanzt. Das kam riesig an. Dabei war ich für die Mi nicht unbedingt die richtige Besetzung - mit meiner viel zu großen Nase. Doch die haben die Make-up-Spezialisten perfekt weggezaubert. Mit dem „Land des Lächelns“ war ich später auch auf Tournee, mit Weltstar Giuseppe Di Stefano.
Wie war er?
KOLLER: Als Kollege war er ein Traum und sehr großzügig. Er hat uns immer wieder eingeladen. In seinem Rolls Royce hatte er übrigens eine Espresso-Maschine eingebaut.
Ob des Erfolges in „Land des Lächelns“ kamen Sie auch in die USA. Nicht unwichtig, aus einem besonderen Grund.
KOLLER: Ja, denn dort habe ich erstmals das Musical „Der Mann von La Mancha“ gesehen, sehr oft gesehen, und ich habe mir geschworen: Die weibliche Hauptfigur, Aldonza, wird meine Lebensrolle!
Das klappte aber nicht gleich?
KOLLER: Mein Herz begann zu schlagen, als ich erfuhr, dass Direktor Rolf Kutschera das Musical am Theater an der Wien produzieren würde. Aber leider nicht mit mir, sondern „mit einer Burgschauspielerin“, wie er sagte. Das war Blanche Aubry. Ich bat Kutschera aber, die Rolle mit einstudieren zu dürfen. Das hat ihm offensichtlich imponiert. Blanche Aubry jedoch hat mir den Aufenthalt im Zuschauerraum verboten. Also flüchtete ich heimlich auf die Galerie. Kutschera sicherte mir sogar drei Vorstellungen zu. In einer der Vorstellungen fiel ich deutschen Theaterproduzenten auf, ich wurde als Aldonza nach Deutschland eingeladen, später kam ich doch ans Theater an der Wien und später an die Volksoper. Und die Aldonza wurde, wie ich mir vorgenommen hatte, meine Lebensrolle!
Das Privatleben: Mit Helmut Zilk waren Sie 34 Jahre zusammen und 30 Jahre verheiratet. „Kupplerin“ war die ehemalige Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner?
KOLLER: Richtig, doch ich hatte den Helmut schon 14 Tage vorher kennengelernt, bei einer Weihnachtsfeier. Als ich dann beim Fest von Frau Fröhlich-Sandner auftauchte, zeigte er plötzlich auf mich und rief vor allen Leuten: „Das ist die Frau, die ich heiraten werde!“ Ich bin rot geworden, und so einfach war das ja auch nicht, weil ich noch liiert war. Erst sechs Monate danach bin ich mit dem Helmut erstmals essen gegangen.
Der Rest ist bekannt. Mit allen Höhepunkten und mit einer Tragödie am 5. Dezember 1993, einem Sonntag.
KOLLER: Da kamen wir aus Zürich zurück. Schon vorher hatte es eine Warnung vor einem Narren, der Briefbomben verschickte, gegeben. Helmut hat mir verboten, Briefe zu öffnen. Er selbst hielt sich leider nicht daran. Es war 19.30 Uhr, als ich einen Riesenkracher hörte. Sofort lief ich in sein Zimmer. Alles voller Blut, auch die Wände. Zwei Finger der linken Hand waren ihm von der Briefbombe weggesprengt worden.
30 Jahre Ehe, für niemanden einfach, gewiss auch nicht für das Ehepaar Zilk/Koller?
KOLLER: Ich war ja beruflich viel weg, doch der Helmut besuchte mich jedes Wochenende. Dafür war in späteren Jahren ich für ihn da. Aber ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, mit allen Höhen und Tiefen, denn auch die gehören dazu.
Er starb am 24. Oktober 2008.
KOLLER: Da ging es ihm schon ziemlich schlecht, er musste auch die Sendung „Lebenskünstler“ aufgeben. Sein letzter Gast war Alfred Hrdlicka. Danach haben die beiden ganz schön gebechert. Nach einer Fußinfektion sollte Helmut im Wilhelminenspital operiert werden. Ich war natürlich bei ihm, aber er zwang mich förmlich, zu einem Schneidetermin zum ORF zu fahren. Als sein üblicher Anruf um ein Uhr nachts nicht kam, machte ich mir schon Sorgen, und am nächsten Morgen stand die Polizei vor meiner Tür: „Frau Koller, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann vor 20 Minuten verstorben ist!“
Als Todesursache wurde Herzversagen genannt?
KOLLER: Ja, aber ich hatte das Gefühl, dass es ihm schon so schlecht ging, dass er nicht mehr wollte. Ich glaube, wahrgenommen zu haben, dass er in der Nacht die Überwachungsdrähte rausgezogen hatte. Am 8. November haben wir ihn begraben.
Die legendäre Sängerin Marta Eggerth hat einmal auf die Frage, warum sie nach dem Tod ihres Mannes Jan Kiepura nicht mehr geheiratet hat, geantwortet: „Wenn man einmal den höchsten Gipfel erreicht hat, welcher Gipfel soll einen da noch reizen?“ Und Sie: Haben Sie sich je vorstellen können, noch einmal zu heiraten?
KOLLER: Nach dem Zilk? Nie!
Luigi Heinrich