"Die Touristen nerven, sie zerstören unser Amsterdam, lassen überall ihren Müll liegen. Wir wollen sie hier einfach nicht mehr haben“, raunzt die ältere Dame dem Fernsehreporter ins Mikrofon. Doch nicht nur dort machen Einheimische kein Hehl daraus, dass Besucher in ihrer Stadt nicht mehr willkommen sind – ganz gleich, wie viel Geld sie bringen. InBarcelona, Venedig, Salzburg, Dubrovnik, Hallstatt, der Bucht von Kotor und Santorin ächzen die Einheimischen aufgrund des Massenansturms der Gäste immer mehr.
In Rom hatte das jetzt zur Folge, dass Urlauber, die sich auf die Spanische Treppe setzten, von der Polizei mit Trillerpfeifen vertrieben wurden. Wer sich dem widersetzt, muss mit einer Strafe von bis zu 400 Euro rechnen. Geregelt ist das in einem Erlass, den der Stadtrat noch vor dem Sommer verabschiedete.
Das Problem ist nicht neu
Aber darf man mit Gästen wirklich so umgehen? „Man darf und muss sogar“, antwortet Peter Zellmann, Leiter des Institutes für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien, „der Massentourismus ist zu etwas Überbordendem für Mensch und Umwelt geworden, man muss alles an Regeln andenken und ausprobieren dürfen.“
Wobei das Problem kein neues ist: Bettenburgen und überfüllte Strände gibt es seit Jahrzehnten. Durch Kreuzfahrt-Boom, Billigfluglinien, Buchungsplattformen und Airbnb ist der Städtetourismus leistbarer und dementsprechend beliebter geworden. Doch die Städter profitieren davon kaum – ganz im Gegenteil.
Durch das Wachstum des urbanen Bereiches ist es auch ohne Urlauber in der U-Bahn und auf dem Wohnungsmarkt eng. Hinzu kommen internationale Investoren, die durch den Aufkauf von Wohn- und Verkaufsflächen die Bewohner der Innenstädte vermehrt an den Rand drängen. Die US-amerikanische Soziologin Saskia Sassen bezeichnet es als den „Verlust der Mitte“. Für viele Bewohner stelle sich das Gefühl ein, eher durch eine Kulisse zu wandeln als durch die eigene Stadt. Und dann noch Millionen Besucher.
Gastfreundschaft überstrapaziert
Das alles überstrapaziert die Gastfreundschaft, schlägt in Unmut und Aggression um. Wie etwa in Barcelona, wo Einwohner die Reifen eines Touristenbusses aufschlitzten. Aber selbst solche Aktionen, „Tourist go home“-Schriftzüge auf Hauswänden oder demonstrierende Bürger werden wohl zu keinem Umdenken in den Köpfen der Besucher führen.
„Urlaub ist ein hochemotionales Thema, da setzt sich bei fast jedem erst einmal der Egoismus durch. Zunächst will jeder einfach Barcelona sehen, erst später macht man sich Gedanken, was das für die Einheimischen bedeutet. Wie auch bei Umweltthemen: Theoretisch wissen wir alle, was nicht gut ist, trotzdem machen wir es“, betont Zellmann.
Viel zu lange schleifen lassen
Lösen könne dieses Problem nur die Politik. Zumindest in Städten wie Amsterdam, Venedig und anderen Touristenhochburgen. „Dort hat man einfach viel zu lange verabsäumt, etwas zu unternehmen“, erklärt er. Dort sei es Aufgabe der Politik, mit Zugangsregelungen, Tageskontingenten, gesetzlich verankerten Verhaltensregeln, Strafen und anderen Maßnahmen das Problem in den Griff zu bekommen.
Die Lage in Österreich hingegen bewertet Zellmann als optimistischer. Das Gebot der Stunde: basisdemokratisches Agieren. Man müsse die Bedürfnisse der Einheimischen ernst nehmen und sie bei der Erstellung von Regeln miteinbeziehen.
Was nicht passieren dürfe, sei, dass die Bewohner ihre Städte und Traditionen aufgeben. Ein sehr gutes Beispiel ist für den Freizeitforscher der Villacher Kirchtag, mit rund 450.000 Besuchern eine der größten Brauchtumsveranstaltungen Österreichs. „Es kann nicht sein, dass halb Villach auf Urlaub ist, wenn die Veranstaltung stattfindet. Bei Veranstaltungen dieser Art muss man rechtzeitig darauf achten, dass die Lage nicht kippt und nicht nur noch Touristen da sind. Ich muss mich immer fragen, ob mir das als Gastgeber auch noch Freude macht.“
Gastgeber der Zukunft
Aber wer werden die Gastgeber der Zukunft sein? Wird der Reisende der Zukunft dasselbe sehen wollen wie heute? Oder werden Urlauber an anderen Orten Erholung und Ablenkungsuchen? „Vielleicht lässt sich der eine oder andere Reisende derzeit ja von den Besuchermassen abschrecken.
An der grundsätzlichen Anziehungskraft der klassischen Ziele wird sich aber wenig ändern, da Venedig oder Barcelona weiterhin mit ihrer Architektur, Historie, Kulinarik und dem Wetter attraktive Destinationen bleiben werden“, sagt Achim Schröder, Studiengangleiter Internationales Tourismus-Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
Eine Chance sieht er für Ziele in der „zweiten und dritten Liga“: „In Zukunft wird es darum gehen, versteckt liegende Potenziale zu nutzen und den Reiz des scheinbar Belanglosen herauszustellen. Eine Chance bieten Gastgeber, die sich tatsächlich über Besucher freuen.“ Und doch müsse hier mit besonderer Vorsicht gehandelt werden, da „das Gefühl von Überfremdung in bislang unberührten Gebieten schneller eintritt als in Destinationen, die seit Jahrzehnten an Touristen gewohnt sind“.
Eventuelle Lösungen
Als eine Lösung für den Massentourismus sieht Schröder die Umleitung der Besucherströme ins Umland deshalb aber eher nicht. Trotzdem will etwa Amsterdam das jetzt versuchen. Um die niederländische Hauptstadt touristisch zu entlasten, werden weiter entfernte Attraktionen mit simplen Tricks psychologisch näher gerückt. So wurde zum Beispiel ein 18 Kilometer entfernter Strand in „Amsterdam Beach“ umbenannt – und schon war die Metropole um einen Besuchermagneten außerhalb reicher.
Experte Schröder konstatiert einen Paradigmenwechsel auf mehreren Ebenen – auch in der Ausbildung. „Seit jeher war das Tourismusmarketing auf Wachstum programmiert. Das Ziel waren Rekordzahlen. Doch in Zeiten des ,Overtourism‘ wandelt sich die Aufgabe immer mehr von der Bewerbung hin zum nachhaltigen Management der Besucherströme.“